Lebensgeschichte
Tiefdruckgebiet
WILMA
(getauft am
25.05.2018)
Im
Mai 2018 stellte sich über Europa eine beständige Wetterlage ein. Immer wieder
konnte sich hoher Luftdruck über Skandinavien etablieren. In der Folge gab es
mit einer östlichen Bodenströmung sonniges, warmes und verbreitet deutlich zu
niederschlagsarmes Wetter. In West- und Süddeutschland konnten zeitweise
labilere Luftmassen übergreifen und Schauer und Gewitter auslösen.
Auch
am 23. Mai zeigte sich diese Konstellation in den Wetterkarten. Über
Skandinavien war das Hochdruckgebiet TEWS in weiten Teilen Europas
wetterbestimmend. Ansonsten konnten über dem europäischen Festland keine
Tiefdruckgebiete mit einem Frontensystem analysiert werden. Einzig zwischen den
Azoren und Spanien konnte sich ein kleiner Tiefdruckwirbel halten, welcher aber
zunächst in seiner Position stationär blieb. Mit weiterer Verstärkung eines in
der Höhe ausgeprägten Hochdruckrückens über Nordafrika wurde das
Tiefdruckgebiet langsam nach Norden bzw. Nordosten abgedrängt. Mit absehbarer
Zugbahn erfolgte die Taufe des Tiefs auf den Namen WILMA am 25. Mai in der
Prognose für den nächsten Tag. Ein Tiefdruckgebiet dreht sich gegen den
Uhrzeigersinn. Damit gelangte auf der Rückseite von Tief WILMA maritime
Polarluft in den Südwesten Spaniens, während im Rest des Landes kontinentale
Tropikluft vorherrschte. Die Voraussetzungen für Gewitter waren demnach gegeben.
Das Tief WILMA sorgte für eine feuchte und energiereiche Luft sowie für Hebung
durch den tiefen Luftdruck und die Fronten.
Eine weitere Bedingung allerdings: die Windscherung. Die Scherung
beschreibt die Änderung der Windgeschwindigkeit und der Winddrehung mit der
Höhe. Unter diesen Bedingungen bildeten sich zahlreiche Einzelgewitter aus,
welche nur langsam zogen und örtlich hohe Regenmengen brachten. Entlang der
Fronten konnten sich hingegen die Gewitter zusammenschließen und gebietsweise
hohe Regenmengen bringen. Bis zum 07 Uhr MEZ-Termin, was 05 Uhr UTC entspricht,
am 25. Mai, also bereits einen Tag vor der Taufe, wurden in Teilen Spaniens
sehr hohe Niederschlagsmengen registriert. Von der nördlichen Küste bis in den
Großraum Madrid konnten 24-stündige Mengen von 20 bis 40 mm registriert werden.
Wie bei dieser Art von Gewittern typisch, traten auf engstem Raum große
Unterschiede auf. So fielen beispielsweise an der Station Madrid-Barajas nur
8,9 mm, in Madrid-Getafe bereits 25,3 mm und an der Station Madrid-Colmen 38,3
mm. Die höchste Regenmenge vermeldete das 40 km nordwestlich von Madrid
gelegene Alto del Leon mit 62,1 mm. In Berlin fielen zum Vergleich im gesamten
Mai durchschnittlich 53,8 mm.
Vom
25. Mai bis zum 26. Mai verlagerte sich das Tief WILMA mit einem Kerndruck von
ca. 1012 hPa von Mittelportugal nach Bordeaux. Damit lag es nur knapp unter dem
atmosphärischen Normaldruck von 1013 hPa. Trotz des vermeintlich schwachen
Tiefs stellte sich die Wetteraktivität auch am 25. Mai als intensiv heraus.
Nach einem freundlichen Start in den Tag bildeten sich am Nachmittag Schauer
und Gewitter aus, welche bis in die Nacht anhielten. Im Großraum Paris, an der
Westküste Frankreichs sowie in Ostwales und Mittelengland fielen bis um 07 Uhr
MEZ am 26. Mai 24-stündig 20 bis 35 mm, örtlich sogar bis zu 45 mm. Der knapp
nördlich von Paris gelegene Ort Margny-lès-Compiègne
verzeichnete mit 47,1 mm den meisten Niederschlag. Auch Paris-Le Bourget mit 35,3 mm und das englische Coleshill mit 21,8 mm
registrierten hohe Regenmengen. Im Bereich der Tropikluft stieg das Thermometer
von Nordostspanien bis Ostfrankreich auf 26 bis 29°C, in der maritimen
Polarluft von Westengland über die Bretagne bis Westspanien dagegen nur auf 14
bis 21°C. Lokal wurden bei Gewittern Sturmböen gemessen, in Orleans mit 100
km/h sogar eine schwere Sturmböe.
Am 26. Mai bildete sich eine Okklusionsfront aus. Sie ist eine
Vereinigung von Warm- und Kaltfront. Sie zog im Tagesverlauf von
Mittelfrankreich in Richtung Irland. Auf der Vorderseite von Tief WILMA
konnte weiterhin Tropikluft nach Norden strömen. Westlich des Kerns drang
maritime Polarluft weiter in Frankreich ein. So konnten sich in der hoch
labilen Luftmasse von Südengland über Frankreich, der Schweiz bis Spanien
zahlreiche Gewitter ausbilden. Während die Temperaturen in Ostfrankreich, der
Schweiz und im Südwesten Deutschlands über 30°C stiegen, vermeldeten die
Wetterstationen in der Bretagne gerade einmal 14 bis 18°C als Höchstwert. Bis
zum Morgen des 27. Mai um 07 Uhr MEZ fielen in einem Streifen von Paris bis zu
den Pyrenäen in 24 Stunden 20 bis 40 mm, lokal bis 60 mm. Auch in den Schweizer
Alpen drang die feuchte Luft vor und es entwickelten sich über dem Bergland
stationäre Gewitter, welche hohe Regensummen brachten. Bisisthal mit 67,2 mm
und Oberhünigen mit 59,4 mm verzeichneten die höchsten Mengen. Aber auch in
Deutschland wurde Tief WILMA aktiv. Über dem Schwarzwald bildeten sich
ortsfeste Hitzegewitter aus, welche in Sankt Blasien 37,0 mm und an der Station
Krunkelbachhütte 22,4 mm mit sich brachten. In Zusammenhang mit einem großen
Gewitterkomplex über Frankreich traten neben den Starkniederschlägen auch
Windböen auf. Gebietsweise wurde Windstärke 9, örtlich 10 auf der
Beaufort-Skala erreicht. Die stärkste Böe verzeichnete man in der
westfranzösischen Stadt La Couronne mit 106 km/h, welches sogar Windstärke 11
entspricht. In der Nacht verlagerte sich die Hauptgewitteraktivität nach
Südengland, wo beispielsweise im Londoner St. James Park bis zum 07 Uhr MEZ-Termin
15,2 mm fielen.
Tief
WILMA konnte am 27. Mai um 01 Uhr MEZ mit einem Druck von ca. 1012 hPa über der
Bretagne mit einer bis Irland reichenden Okklusionsfront festgestellt werden.
Am Folgetag um 01 Uhr MEZ analysierte die Berliner Wetterkarte Tief WILMA mit
zwei Kernen ohne Fronten. Der erste Kern, WILMA I, befand sich über der
Keltischen See, Kern II knapp östlich von Paris. Der Druck lag unverändert um
oder etwas unter 1013 hPa. Am Wettergeschehen änderte sich auch am 27. Mai nur
wenig. Erneut bildeten sich im Tagesverlauf von Spanien über Frankreich,
Südengland bis Westdeutschland und der Schweiz teils schwere Gewitter aus. Der
Schwerpunkt der Gewitter in Deutschland befand sich vom südlichen NRW bis
Karlsruhe. Binnen 24 Stunden fielen bis zum 28. Mai um 07 Uhr MEZ im
rheinland-pfälzischen Bruchweiler 145,0 mm, wodurch es zu Überflutungen kam und
gar Schlammlawinen ausgelöst wurden. Im nur 12 km entfernten Ort Deuselbach
fielen dagegen nur wenige Tropfen. Auch von Niedersachsen bis zum Vogtland
sowie von Hamburg bis Berlin bildeten sich einzelne Schauer und Gewitter aus,
die aber mit 1 bis maximal 15 mm nur lokal kräftiger ausfielen. Bei
Temperaturen von 28 bis 31 Grad stellte sich in großen Teilen hochsommerliches
und schwüles Wetter ein. Auch in anderen Ländern gab es Starkregenereignisse.
Rocroi in Nordfrankreich vermeldete einen 24-stündigen Niederschlag von 97,6
mm, Winterbourne in England 87,4 mm, Luthern in der Schweiz 77,2 mm und
Bujaraloz in Spanien 55,6 mm.
Bis
zum 29. Mai um 01 Uhr MEZ verschoben sich die Kerne von Tief WILMA kaum und
lagen mit unverändertem Druck über der Keltischen See und Westfrankreich. Die
Tropikluft erstreckte sich am 28. Mai über ganz Westeuropa bis Polen und
Österreich. Die Gewitteraktivität verschob sich allerdings insgesamt nach Westen,
da sich das skandinavische Hoch UWE verstärkte und etwas trockene Luft von
Osten hertransportierte. So beschränkten sich die Schauer und Gewitter auf die
Mittelgebirge und den Südwesten Deutschlands. Die höchste 24-stündige
Regenmenge registrierte dabei das bayrische Sonthofen-Breiten
mit 32,2 mm. Bei nahezu ungehinderter Einstrahlung stiegen die Temperaturen
besonders in Ostdeutschland verbreitet auf über 30°C. Berlin-Dahlem vermeldete
mit 32,1°C den ersten Tag im Jahr 2018 mit einer Temperatur von über 30°C. Am
heißesten wurde es in Haldensleben in Sachsen-Anhalt mit 34,2°C. In der folgenden Nacht kühlte sich die Luft
kaum ab, sodass örtlich tropische Nächte verzeichnet wurden. Dazu muss der
Tiefstwert über 20°C liegen, wie es Berlin-Tegel mit 20,4°C oder Hamburg-Veddel
mit 20,7°C schaffte. Intensive Regenfälle traten erneut von Mittelspanien bis
Frankreich auf. Gebietsweise wurden 10 bis 30 mm, örtlich über 50 mm
Niederschlag gemessen. Besonders stark traf es die Region Okzitanien. Hier
fielen binnen 24-Stunden bis um 07 Uhr MEZ am 29. Mai extreme 60 bis 120 mm,
mit dem Spitzenwert von 124,1 mm in Mont Aigoual.
Bis zum 30. Mai verlagerte sich der erste Kern von WILMA kaum und
lag über dem Golf von Biskaya. Der zweite Kern verlagerte sich nach Norden und
erreichte um 01 Uhr MEZ die Niederlande. Vorlaufend bildete sich eine
sogenannte Konvergenz aus. An dieser treffen Winde aus unterschiedlicher
Richtung aufeinander und zwingen die Luft aufzusteigen. Dadurch können sich
linienhaft angeordnete Gewitter ausbilden. Die Konvergenz, ausgelöst durch
südwestlichen gegen nordöstlichen Wind, bildete sich am Abend über NRW aus und
reichte bis nach Bayern. Zuvor stiegen die Temperaturen erneut gebietsweise
über 30°C, mit den Spitzenwerten im niedersächsischen Lingen mit 34,2°C und in
Hamburg-Veddel mit 33,7°C. Bis zum Morgen des 30. Mai registrierten die
Messgeräte von NRW und Niedersachsen bis Südsachsen und Bayern eine 24-stündige
Niederschlagshöhe von 5 bis 30 mm. Am stärksten fielen die Gewitter in NRW und
Hessen aus. Es fielen in Düsseldorf 56,3 mm, in Gießen 63,1 mm, in Wipperfürth
78,6 mm und in Kleve 81,9 mm. Diese Mengen fielen meist nur in wenigen Stunden,
so vermeldete die Wetterstation in Kleve um 18 Uhr MEZ einen stündlichen
Niederschlag von 35,7 mm. In den Folgestunden gab es nochmals 43,1 mm, sodass
in nur zwei Stunden 78,8 mm fielen. Die Folge waren teilweise überflutete
Straßen und Keller. Auch aus Wuppertal wurden teils schwere Schäden gemeldet,
unter anderem stürzte ein Teil des Daches der Uni ein. Nach der Abschätzung der
Radarbilder fielen dort lokal 100 mm in einem kurzen Zeitraum. Stellenweise
konnte über 4 cm großer Hagel vermeldet werden, der zu weiterem Schaden führte.
Vielerorts fiel, wie bei dieser Wetterlage typisch, aber auch kaum oder gar
kein Regen. Auch von Spanien bis England gab es erneut zahlreiche Schauer und
Gewitter, meist blieben die Mengen unter 30 mm, einzig in Zentralfrankreich gab
es lokal über 50 mm in 24 Stunden, wie in Chastreix mit 61,1 mm.
Am 31. Mai um 01 Uhr MEZ positionierte sich der erste Kern über
der Bretagne, der Zweite über dem Elsass. Entsprechend fiel der meiste Regen am
30. Mai von Südwestdeutschland über Frankreich, Schweiz bis Spanien. Örtlich
traten wieder extreme Mengen über 50 mm auf, wie im schweizer Oberehrendingen
mit 79,6 mm oder im französischen Fraisse-Murat mit 64,1 mm. Eine zweite
Gewitterzone erstreckte sich von Bremen bis zum Erzgebirge. In Trebendorf in
Sachsen konnte mit 76,3 mm der Höchstwert ermittelt werden. Verbreitet wurde es
erneut schwül-heiß mit Höchstwerten von 28 bis 33°C. Den höchsten Wert mit
34,0°C vermeldete ironischerweise Berlin-Eiskeller.
Im Laufe des 31. Mai löste sich der erste Kern über Frankreich
auf. Der zweite Kern konnte sich leicht verstärken und bildete am Nachmittag in
Südwestdeutschland an seiner Nordseite eine Warmfront und an seiner Südseite
eine Kaltfront aus. So entwickelten sich zunächst über der Südhälfte nur
punktuell Gewitter, die jedoch lokal extremen Starkregen brachten. So fielen
beispielsweise in Möhrendorf-Kleinseebach bei Nürnberg bis 19 Uhr MEZ 71,0 mm
und in Erlbach im Vogtland 64,9 mm Regen. In der Nacht zum 1. Juni formierte
sich dann ein Gewittergebiet über Baden-Württemberg, das langsam nordwestwärts
zog und im westlichen Rheinland-Pfalz und im Saarland zum Teil zu Erdrutschen,
Schlammlawinen und Überflutungen führte. Bemerkenswert waren die diesmal
flächendeckend extrem hohen Regenmengen zwischen 40 und 80 mm Regen binnen 12
Stunden. Am Saarbrücken-Flughafen wurden 66,1 mm, in Bitburg 67,8 mm gemessen
und die Station Prim-Watzerath 85,1 mm Regen. Spitzenreiter war
Lenzkirch-Ruhbuehl in Baden-Württemberg mit 91,0 mm.
Am 1. Juni überquerte Tief WILMA mit seinem Frontensystem
Deutschland von Südwest nach Nordost. Abermals bildeten sich ab den
Mittagsstunden kräftige Gewitterzellen aus. Die Hauptaktivität erstreckte sich
von Niedersachsen und NRW über Hamburg bis Brandenburg und Sachsen. Es stellten
sich regional wieder extreme Unterschiede in der Niederschlagsverteilung ein.
In Berlin-Schönefeld konnten 64,2 mm gemessen werden, davon knapp 50 mm in
einer Stunde. In Berlin-Dahlem gab es dagegen gerade einmal 1,8 mm. In
Schönefeld wurde mit einer Böe von 99 km/h die höchste Windspitze in
Deutschland verzeichnet, der Flugverkehr kam für mehrere Stunden zum Erliegen.
Zahlreiche Wetterstationen in den genannten Bundesländern vermeldeten
24-stündige Regenmengen von über 50 mm. Am meisten fiel in Halberstadt mit 79,2
mm und in Pulheim-Brauweiler mit 75,9 mm.
Die Hitzewelle setzte sich in Nord- und Ostdeutschland mit Temperaturen
über 30°C fort. Während im brandenburgischen Mattendorf 34,1°C erreicht wurde,
verharrte die Temperatur in der Eifel rückseitig von Tief WILMA bei nur 13 bis
16°C.
Am 2. Juni um 01 Uhr MEZ lag Tief WILMA mit einem Druck von 1013
hPa über Stettin. Das Wettergeschehen konzentrierte sich dementsprechend nur
noch auf den Nordosten Deutschlands. In Brandenburg, Sachsen-Anhalt und
Mecklenburg-Vorpommern bildeten sich stellenweise kräftige Schauer und Gewitter
aus. In Dahme fiel mit 52,4 mm der höchste 24-stündige Niederschlagswert.
Berlin-Müggelsee vermeldete 11,0 mm, während in Berlin-Tegel kein Tropfen fiel.
Im restlichen Deutschland beruhigte sich das Wetter deutlich und es gab nur
noch wenige Schauer. Mit Werten von 17 bis 27°C stellte dabei sich weniger
warmes Wetter ein.
Am 3. Juni um 01 Uhr MEZ war Tief WILMA letztmalig auf der
Berliner Wetterkarte verzeichnet. Es befand mit dem Kern nahe Warschau. Anfangs
brachten die Reste vor allem im Südosten Brandenburgs Schauer, die bis 07 Uhr
MEZ die höchsten 24-stündigen Niederschlagsmengen in Deutschland zur Folge
hatten: So fielen in Beeskow 13,6 mm und im nahegelegenen Lindenberg 11,5 mm,
dies jeweils in wenigen Stunden. Im Anschluss zog das Tief nach Osten und löste
in Polen einige Schauer und Gewitter aus. Die höchste Menge wurde aus Siedlce
mit 25,6 mm vermeldet. Am Abend des 3. Juni löste sich Tief WILMA auf.
Tief WILMA wird als Gewitter- und Hitzetief in Erinnerung bleiben,
welches mit Temperaturen bis 34°C zahlreiche Rekorde für den Mai brach und
teils schwere Gewitter nach Deutschland brachte. Allein vom 27. Mai bis 2. Juni
konnten über Deutschland 683000 Blitze geortet werden. Vielerorts wurde die
große Trockenheit etwas gelindert, in anderen Regionen setzte sie sich ohne
einen Tropfen Regen unvermindert fort.