Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet XANDREA

(getauft am 06.05.2016)

 

Anfang Mai bildete sich an einer Luftmassengrenze an der Küste der Neuenglandstaaten der USA ein Wirbel, der über den Westteil des Nordatlantiks zog. Am 6. Mai 2016 wurde dies Tiefdruckgebiet über dem zentralen Nordatlantik auf den Namen XANDREA getauft. Zum Zeitpunkt der Taufe lag das Zentrum der Zyklone XANDREA mit einem Kerndruck von unter 1010 hPa ca. 800 km nördlich der Inselgruppe der Azoren. Vom Tiefdruckzentrum ging in südöstlicher bis südlicher Richtung eine kurze Okklusionsfront aus, also eine Mischfront mit Warm- und Kaltfronteigenschaften. Etwa 250 km vom Kern entfernt lag der Okklusionspunkt, an dem sich eine bis westsüdwestlich der Azoren reichende Warmfront und eine weiter westlich folgende Kaltfront trafen, wobei die letztgenannte Luftmassengrenze südwestlich des Tiefdruckkerns weiter in eine westliche bis nordwestliche Richtung verlief und ungefähr 600 km vor der Südostküste der kanadischen Insel Neufundland in eine Warmfront überging. Diese gehörte zu einem unbenannten Tiefdrucksystem vor der Küste der nordöstlichen Vereinigten Staaten von Amerika. Vom Zentrum des Tiefdruckgebietes XANDREA verlief außerdem eine verwellte Okklusionsfront in westlicher bis nordwestlicher Richtung, die bis etwa 500 km östlich von Neufundlands Ostküste analysiert wurde. Die vom Okklusionspunkt ausgehenden Warm- und Kaltfronten brachten im Tagesverlauf auf den Azoren gelegentlichen Regen, der meist in schauerartiger Form fiel.

Bis zum Morgen des Folgetages hatte sich das Tiefdruckgebiet XANDREA der Höhenströmung folgend nach Osten bis Südosten verlagert und befand sich nun mit seinem Zentrum, in dem ein Kerndruck von unter 1000 hPa herrschte, etwa 600 km nordnordöstlich der Azoren und ungefähr 800 km westnordwestlich der Nordwestspitze der Iberischen Halbinsel. Vom Tiefdruckzentrum verlief eine Okklusionsfront, die im Uhrzeigersinn fast einen Vollkreis beschrieb und bis zum Okklusionspunkt reichte, der etwa auf halbem Wege zwischen den Azoren und der zentralen portugiesischen Küste lag. Dort erstreckten sich eine in südlicher bis südwestlicher Richtung bis knapp westlich der ebenfalls zu Portugal gehörenden Inselgruppe Madeira verlaufende Warmfront und eine weiter westlich folgende Kaltfront. Dabei führte die Kaltfront bogenförmig südlich an den Azoren vorbei und ging nordwestlich dieser Inselgruppe in die Warmfront eines unbenannten Tiefs an der Südostküste von Neufundland über.

Bis zum Morgen des 8. Mai kamen durch teils gewittrige Regengüsse in der portugiesischen Hauptstadt Lissabon 62 l/m² zusammen. Im südportugiesischen Faro waren es sogar 84 l/m². Mittlerweile war das Tiefdruckgebiet XANDREA noch etwas weiter nach Osten gezogen, denn das Zentrum wurde etwa 500 km westlich der nordwestspanischen Küste analysiert. Gleichzeitig hatte sich der Kerndruck der Zyklone XANDREA vertieft und lag nun bei weniger als 990 hPa. Vom nördlichen Kernbereich des Tiefs XANDREA ausgehend, reichte eine Okklusionsfront in einem Bogen zunächst nach Nordosten bis Osten bis zur Biskaya, um dann eine südöstliche bis südliche Richtung einzunehmen und über den Nordwesten Spaniens zu verlaufen. Etwas westlich der Mitte der Iberischen Halbinsel ging die Okklusionsfront in eine Kaltfront über, die im Grenzbereich zwischen dem Süden Portugals und Spaniens das Festland verließ und weiter bogenförmig verlief, dabei südlich von Madeira entlangzog und etwas westlich bis südwestlich der Azoren in die Warmfront eines unbenannten Tiefs überging, welches sich zwischen den Azoren und Neufundland befand.

Zum Morgen des Folgetages brachten die Fronten des Tiefdruckgebietes XANDREA im westfranzösischen Brest eine Niederschlagsmenge von 10 l/m². Im spanischen Sevilla kamen 31 l/m² zusammen, und in der marokkanischen Hafenstadt Casablanca fielen 9 l/m². In der Zwischenzeit hatte sich das Zentrum des Tiefdruckgebietes XANDREA bei in etwa gleichbleibendem Kerndruck von unter 990 hPa weiter nach Norden verlagert. Damit folgte es der Bewegungsrichtung eines in höheren Luftschichten ebenfalls nach Norden gezogenen abgeschlossenen Tiefdruckgebietes. Solch ein Höhentief wird auch Kaltlufttropfen genannt, weil die Luft im Vergleich zur Umgebung auf horizontaler Ebene, beispielsweise im 500-hPa-Luftdruckniveau, eine tiefere Temperatur hat. Oft sind, besonders bei darunterliegender Warmluft, die vertikalen Unterschiede zwischen einem Kaltlufttropfen und den bodennahen Luftschichten besonders groß, was eine entsprechend hohe Wetteraktivität zur Folge hat. Westlich des ungefähr 500 km nordwestlich der Nordwestspitze der Iberischen Halbinsel liegenden Zentrums des Wirbels XANDREA verlief eine in der höheren Atmosphäre wetteraktive Okklusionsfront bis zum Okklusionspunkt, der ungefähr 700 km westsüdwestlich von Irland lag. Von dort ging einerseits eine Warmfront aus, die sich erst nach Norden bis Nordosten zog und etwa im Bereich der Färöer-Inseln eine östliche Richtung einnahm und bis über das südliche Skandinavien führte. Über dem zentralen Südschweden ging sie in die Kaltfront eines unbenannten Tiefs mit Kern über dem Südteil des Bottnischen Meerbusens über. Andererseits verlief vom Okklusionspunkt eine Kaltfront zunächst in nordöstlicher bis östlicher Richtung, um über dem südlichen Irland sowie dem Südwesten Großbritanniens eine mehr südöstliche Richtung einzunehmen, den Ärmelkanal zu überqueren und von der Normandie über das zentrale Frankreich bis zu den östlichen Pyrenäen zu führen, von wo aus sie in südlicher bis südwestlicher Richtung über die Inselgruppe der Balearen, Algerien und, in etwa dem Verlauf des Atlasgebirges folgend, Marokko weiter verlief. Die Kanarischen Inseln knapp südlich passierend, reichte die Kaltfront weiter in westliche Richtung, um etwa 1000 km südwestlich der Azoren weiter nach Norden bis Nordwesten zu verlaufen. Ebenfalls etwa 1000 km von den Azoren entfernt, allerdings in westnordwestlicher Richtung, ging die Kaltfront in eine Warmfront über, die zu einem unbenannten Tiefdruckgebiet mit Kern zwischen Neufundland und dem kanadischen Festland im Bereich der Provinz Quebec gehörte. Somit war, nachdem ein Warmluftsektor am 8. Mai mangels Warmfront nicht erkennbar war, ein solcher am 9. Mai wieder ausgeprägt. Dieser sorgte auf der Isle of Skye im Westen Schottlands für einen Sommertag nach meteorologischer Definition, für den 25,0°C nötig sind. Dieser Wert wurde mit 26,7°C deutlich überschritten, während es am Vortag nur ein Maximum von 19,0°C gegeben hatte. Im Bereich der Kaltfront über Frankreich wurden vor allem in der südwestfranzösischen Region Languedoc-Roussillon-Midi-Pyrénées selbst in Lagen von rund 300 m über dem Meeresspiegel schwere Sturmböen und orkanartige Böen gemessen, was mit Spitzenwindgeschwindigkeiten von 90 bis 105 km/h der Windstärke 10 bis 11 entspricht. Auf dem Mont Aigoual in den Cevennen betrug die Spitzenböe in einer Höhe von 1567 m über dem Meeresspiegel 137 km/h, was der Orkanstärke 12 auf der Beaufortskala entspricht.

Bis zum Morgen des 10. Mai kamen durch die anhaltende Tiefdrucktätigkeit gebietsweise recht große Regenmengen zu den Niederschlägen der vergangenen Tage hinzu. So wurden in der südwestfranzösischen Stadt Bordeaux 41 l/m² und in Lissabon 40 l/m² registriert. Mittlerweile hatte sich das Tiefdruckgebiet XANDREA in zwei Teiltiefs über dem Südwesten Europas aufgeteilt. Der Wirbel XANDREA I lag mit einem Kerndruck von unter 1000 hPa zwischen der Iberischen Halbinsel und den Azoren, wobei dieses Tief wiederum zwei Zentren hatte. Eines lag ungefähr 700 km ostnordöstlich der Azoren, das andere befand sich etwa 500 km westlich von Lissabon. Von dort aus verlief eine Okklusionsfront in engem Bogen erst in östlicher, dann in südlicher und westlicher Richtung, um zwischen dem erstgenannten Tiefdruckzentrum und den Azoren mehr auf nördliche bis nordöstliche Richtung zu drehen. Nachdem der Süden Irlands überquert wurde, passierte die Okklusionsfront Wales und das südliche England in östlicher bis südöstlicher Richtung, um nach Überquerung des Ärmelkanals sowie des nördlichen und östlichen Frankreichs im Bereich der Côte d’Azur in eine weitere Okklusionsfront überzugehen. Diese gehörte zu einem unbenannten Tiefdruckgebiet im algerisch-tunesischen Grenzgebiet. Das zweite Tief XANDREA II befand sich mit einem Kerndruck von unter 1005 hPa über der südlichen Biskaya. Somit wurde es gewissermaßen nördlich und östlich von der vom Tief XANDREA I ausgehenden Okklusionsfront umschlossen, wenn diese auch einen recht großen Abstand zum Tief XANDRA II hatte.

So blieb es bis zum Morgen des 11. Mai 24-stündig im südfranzösischen Toulouse komplett trocken, während in Marseille 26 l/m² und in Brest 33 l/m² fielen. In Ajaccio auf Korsika kamen sogar 60 l/m² zusammen, und im marokkanischen Tanger an der Straße von Gibraltar fielen immerhin 10 l/m². An diesem Tag war das Tiefdruckgebiet XANDREA zum letzten Mal als eigenes Druckgebilde auf der Berliner Wetterkarte zu erkennen. Es wurde nur ein Tiefdruckgebiet namens XANDREA analysiert, wenn auch mit zwei Zentren, in denen der Kerndruck jeweils bei unter 1005 hPa lag. Das eine Zentrum befand sich etwa 500 km westnordwestlich von Lissabon, das andere Zentrum ungefähr auf der Position des Tiefs XANDREA II vom Vortag. Über der Biskaya verlief eine Okklusionsfront in West-Ost-Richtung und somit durch das zweite Zentrum des Tiefdruckgebietes XANDREA, die über dem südwestlichen Frankreich in eine Kaltfront überging. Diese beschrieb einen Bogen erst in südöstlicher, später in südlicher Richtung östlich an den Balearen vorbei und erstreckte sich schließlich in südwestlicher Richtung über das nordafrikanische Festland. Sie reichte von der algerischen Küste so weit in Richtung der Sahara hinein, dass ihr Ende außerhalb des Kartenausschnittes der Berliner Wetterkarte lag.

 

 

Geschrieben am 14.06.2016 von Heiko Wiese

Berliner Wetterkarte: 08.05.2016

Pate: Renate Geitz