Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet XANTHIPPE

(getauft am 19.02.2020)

 

Der Februar 2020 war in Europa ein stürmischer Monat mit zahlreichen Tiefdruckgebieten, von denen das Sturmtief SABINE Ende der ersten Woche die stärksten Schäden anrichtete. Aber auch in der Folge blieb es bei einer strammen Westströmung, in der rund 10 Tage später ein Tiefdruckgebiet schon über Nordamerika auf den Namen XANTHIPPE getauft wurde. Da eine signifikante Beeinflussung des europäischen Wetters abzusehen war, wurde der Name am 19.02. in die Prognosekarte für den Folgetag, an dem das Zentrum des Tiefs südlich von Grönland liegen sollte, eingetragen.

Bereits am 19. Februar selbst war das zukünftige Tief XANTHIPPE über Neufundland aktiv. Es besaß zu diesem Zeitpunkt die typische Form eines voll ausgebildeten Tiefdruckgebiets, mit einer Warmfront südlich vom Ort des tiefsten Drucks, einer Kaltfront westlich davon und dem Zusammentreffen dieser beiden Fronten an einem Punkt südlich des Tiefdruckzentrums, dem sogenannten Okklusionspunkt. Den Bereich zwischen der Kalt- und der Warmfront nennt man Warmsektor, und in dem Warmsektor von Tief XANTHIPPE stieg die Temperatur am Nachmittag in der Hauptstadt St. John’s auf +5°C, eh sie tags darauf hinter der Kaltfront auf jahreszeitentypischere -9°C sank. Dabei kam insgesamt eine Niederschlagssumme von 8 mm zusammen, die in Form von Schnee und Regen fiel.

Am 20. Februar bewegte sich das Tiefdruckgebiet XANTHIPPE in östliche Richtung über den Nordatlantik, wirkte dabei zwar auf keine Landfläche, aber verstärkte sich deutlich, was bedeutet, dass der Luftdruck im Zentrum des Tiefs von anfänglich 980 hPa auf 965 hPa sank. In Abwesenheit eines starken Höhenluftstroms nördlich des Kerns verlängerte sich dieser und bildete eine Welle aus.

Deswegen waren auf der Bodenwetterkarte (die im Übrigen täglich mit den Daten von 01 Uhr MEZ gezeichnet wird) vom 21. Februar zwei Teiltiefdruckgebiete unter dem Namen XANTHIPPE zusammengefasst, als da wären XANTHIPPE I wenige 100 km südwestlich von Grönland und XANTHIPPE II südwestlich von Island. Verbunden wurden diese beiden Kerne von einer okkludierten Front, einem Zusammenschluss aus Kalt- und Warmfront, die südlich des Islandtiefs in ebenjene Bestandteile auseinanderbrach. Die Warmfront verlief mehrere 100 km weiter über den östlichen Nordatlantik, die Kaltfront weiter westlich bis über die Sargassosee. Damit war das Tiefdruckgebiet nicht mehr weit vom europäischen Kontinent entfernt und tatsächlich hatten die ersten Niederschläge der Warmfront schon in der Nacht Schottland und Irland erreicht, mit deutlich über 10 mm Regen in 12 Stunden bis 07 Uhr MEZ in den schottischen Highlands. Diese weiteten sich im Tagesverlauf auf die Nordhälfte der Britischen Inseln sowie die Westküste Norwegens aus. In den nächsten 12 Stunden bis 19 Uhr MEZ wurden am Flughafen Glasgow 30 mm und in Takle am Sognefjord 48 mm Regen gemessen, dies jeweils bei Temperaturen zwischen 8°C und 10°C. Auf verschiedenen Bergen in Schottland und Norwegen wurden im Einflussbereich des Tiefdruckgebiets Orkanböen mit Windgeschwindigkeiten über 150 km/h gemessen, und auch in Küstengebieten wurden teilweise die 100 km/h überschritten, besonders im Bereich der Lofoten, denen sich der Kern des Tiefs XANTHIPPE II am Abend näherte. In der Nacht auf den 22. Februar fiel der Regen an den meisten bereits betroffen Orten weiter beständig und weitete sich außerdem noch nach Wales, Dänemark und Südschweden aus. An exponierten Stellen, also besonders in Gebirgen nahe westlicher Küsten, kamen über 24 Stunden bis 07 Uhr MEZ an diesem Morgen sehr beträchtliche Regensummen zusammen, wie zum Beispiel 92 mm im walisischen Capel Curig.

Im Vergleich zum Vortag lag der tiefste Druck im Bereich von Tief XANTHIPPE am 22. Februar noch einmal um etwa 10 hPa tiefer bei unter 955 hPa. Dieser Wert wurde über dem Europäischen Nordmeer im Kern des Tiefs XANTHIPPE II interpoliert. Der Luftdruck im Zentrum von XANTHIPPE I, das nun südöstlich von Island lag, war dagegen unverändert bei ca. 965 hPa. Auch ein drittes Teiltiefdruckgebiet wurde auf der Bodenwetterkarte dieses Tages analysiert; Tief XANTHIPPE III befand sich mit 985 hPa über der Ostküste Schwedens. Bei drei Kernen war natürlich auch eine Vielzahl an Fronten beteiligt. Alle drei Kerne wurden von einer gemeinsamen Okklusionsfront durchzogen, die sich im Tief XANTHIPPE II in Warm- und Kaltfrontbestandteile auflösten. Die Warmfront reichte bis zur südlichen Nordsee, die Kaltfront lag weiter westlich über den Britischen Inseln, wobei sie sich zeitweise verwellte und über der nördlichen Nordsee Warmfrontcharakter annahm. Deutschland war wettermäßig an diesem 22. Februar zweigeteilt; der Norden lag unter dem Einfluss von Tief XANTHIPPE, im Süden unter Hochdruckeinfluss der Antizyklone GÜNTER. Sehr verbreitet wurden im Norden an diesem Tag stürmische Böen der Windstärke 8 gemessen (63-76 km/h). Vereinzelt war auch in weniger exponierten Stellen Windstärke 9 möglich, wie an der Station Berlin-Dahlem mit 83 km/h um 20 Uhr MEZ, während an der Nord- und Ostseeküste 100km/h erneut überschritten wurden. Was den Niederschlag anging, war der Durchzug der Ausläufer von Tief XANTHIPPE am ehesten in Dänemark und im Norden von Schleswig-Holstein bemerkenswert, denn dort fielen örtlich mehr als 10 mm Niederschlag in 12 Stunden bis 19 Uhr MEZ. Weitere Zentren der Niederschlagsaktivität waren das Baltikum und der Süden Finnlands, wo vielerorts in diesem Zeitraum über 20 mm Niederschlag zusammenkamen. Zudem wurde in Wernigerode, bedingt durch Föhneffekte im Lee des Harzes, eine Maximaltemperatur von 15,2°C erreicht (wobei in der Vorwoche bereits eine höhere Temperatur vorgekommen war).

Da das Tiefdruckgebiet XANTHIPPE seit der Atlantiküberquerung nicht mehr mit der Unterstützung des Jetstreams rechnen konnte, verlor es vereinfacht gesagt an Geschwindigkeit und damit an Schlagkraft. Das zeigte sich auch daran, dass am 23. Februar fast sämtliche Fronten im immer noch umfangreichen Bereich tiefen Drucks okkludiert waren. Lediglich die Okklusion des Tiefs XANTHIPPE III, dessen Zentrum über Finnland lag, spaltete sich noch an ihrem Okklusionspunkt im Osten Lettlands in eine Warm- und eine Kaltfront auf. Der Kern XANTHIPPE I hatte sich kaum verlagert, seinen Kerndruck jedoch auf knapp 990 hPa abschwächen lassen. Der Luftdruck im Zentrum von Tief XANTHIPPE war mit 955 hPa immer noch genauso stark wie am Vortag. Dennoch war XANTHIPPE III am aktivsten und ließ in der Nacht auf den 23. Februar im Nordosten Europas kaum eine Stelle trocken. Die höchsten Windböen wurden an den Küsten des Finnischen Meerbusens gemessen, mit verbreitet über 90 km/h über mehrere Stunden. In Deutschland sorgte die Kaltfront in der ersten Nachthälfte noch für Niederschlag, der sich in der zweiten Nachthälfte auch fortsetzte, nun aber der Warmfront des hereinziehenden Sturmtiefs YULIA zuzuordnen war. Während die nächtliche Minimaltemperatur im Westen Russlands untypischerweise im frostfreien Bereich blieb, war es in Lappland bei klarem Himmel bis zu -20°C kalt, und das trotz starkem Tiefdruckeinfluss. Der Grund dafür liegt daran, dass die Isobaren (Linien gleichen Luftdrucks) einfach zu weit voneinander entfernt waren, um großräumige Luftbewegung auszulösen. Am Tag war der Tiefdruckeinfluss weniger durch Regen zu spüren, als durch das weitere Heranführen von maritimer Polarluft aus dem Nordatlantik in die Ostseeregion. Dennoch war der 23. Februar in Finnland und den baltischen Staaten nicht nur ein mit maximal 7°C sehr milder Tag, sondern mit 7 mm Regen im estnischen Tõravere auch ein weiterer nasser Tag.

Im Verlauf der nächsten Tage setzte sich die abschwächende Tendenz des Tiefdruckgebiets fort. Auf der Bodenwetterkarte des 24. Februar war unter dem Namen XANTHIPPE nur noch ein einzelnes Tiefdruckgebiet mit einem Zentrumsluftdruck von gut 960 hPa über der Barentssee verzeichnet. Wetteraktiv war es allerdings hauptsächlich in einiger Entfernung mittels eines Kaltfluftausbruchs über den nördlichen Fjorden. Selbst direkt an der Küste fiel die Temperatur dadurch unter den Gefrierpunkt, was zum Beispiel in Tromsø zwar für die Jahreszeit üblich wäre, aber im Februar 2020 nur selten eintrat. Im finnischen Inari fielen dabei in 12 Stunden bis 19 Uhr MEZ 9 mm Schnee.

Am 25. Februar war der Name XANTHIPPE letztmalig auf der Berliner Wetterkarte zu sehen. Mit einem Luftdruck von mittlerweile rund 975 hPa hatte das Tiefdruckgebiet schon die Insel Nowaja Semlja passiert und zog unter voranschreitender Auflösung weiter nach Osten. Im kollektiven Wettergedächtnis wird das Tief XANTHIPPE angesichts der starken Konkurrenz anderer Sturmtiefs aus dem gleichen Monat wohl nicht bleiben, aber es war trotzdem ein starkes und vor allem großräumiges Tiefdruckgebiet, das das Wetter über Skandinavien und Nordwesteuropa über mehrere Tage hinweg prägte.