Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet XANTHIPPE

(getauft am 29.10.2012)

 

Am 29.10. zeigte die Höhenwetterkarte für die 500 hPa-Schicht, welche sich in einer Höhe von etwa 5,5 km befindet, einen ausgeprägten Kaltlufttrog, d.h. einen Vorstoß kalter Luft nach Süden, der sich bis zur nordafrikanischen Mittelmeerküste erstreckte. Die Höhenströmung verlief dabei von Grönland über Island, Irland und die Iberische Halbinsel bis zum Scheitelpunkt über Tunesien und dann weiter Richtung Nordosten über den Balkan und die Ukraine zum Ural. Eingebettet in diese Strömung waren zwei Höhentiefs, die sich mit ihren Zentren über den Britischen Inseln sowie Italien befanden und sich in Strömungsrichtung verlagerten. Das steuernde Höhentief lag zu diesem Zeitpunkt über Nordskandinavien.

Im Bereich der dichten Liniendrängung der Frontalzone über Grönland bildete sich an diesem Tag ein neues Tiefdruckgebiet mit einem anfänglichen Kerndruck von etwa 1000 hPa, welches in der Prognose für den Folgetag auf den Namen XANTHIPPE getauft wurde. Die Frontalzone stellte den Grenzbereich zwischen hoch reichender Warmluft über dem Nordatlantik und Kaltluft über Island dar. Dieser große Temperaturunterschied in einem relativ schmalen Bereich war für eine kräftige Zyklogenese verantwortlich und damit für eine rasche Verstärkung von Tief XANTHIPPE.

Am 30.10. lag die Zyklone mit einem Kerndruck von knapp unter 1000 hPa nahe der Südostküste Islands. Vom Zentrum reichte eine Warmfront bogenförmig bis zur Nordspitze Schottlands. Ebenfalls vom Kern ausgehend erstreckte sich eine Kaltfront entlang der Südküste Islands bis zur Südspitze Grönlands. In den folgenden Stunden verlagerte sich der Wirbel unter Druckverminderung nach Südosten und entwickelte Sturmstärke.

Der Kerndruck von Sturmtief XANTHIPPE erreichte in der Nacht zum 31.10. etwa 973 hPa und das Zentrum den Norden der Britischen Inseln. Vom Kern zog sich eine Okklusion, d.h. eine Mischfront mit Warm- und Kaltfronteigenschaften, in einer engen Spirale im Uhrzeigersinn um das Zentrum und spaltete sich bei den Shetland-Inseln in Warm- und Kaltfront. Die Warmfront reichte zu diesem Zeitpunkt von Schottland über die Nordsee bis nach Dänemark, die deutlich längere Kaltfront von Schottland über Irland bis auf den Nordatlantik hinaus. Ein kräftiges Windfeld überquerte den Norden Dänemarks, wo an der Station Skagen am frühen Nachmittag mit etwa 58 km/h die höchste mittlere Windgeschwindigkeit registriert wurde. Die höchsten Niederschlagsmengen wurden im Stau des skandinavischen Gebirges mit 18 l/m² in Oslo und 35 l/m² in Bergen innerhalb von 24 Stunden gemessen.

Am 01.11. formierte sich der Kaltlufttrog neu und verlagerte sich dabei nach Westen. Das steuernde Höhentief lag nun zwischen Island und Schottland. Die zugehörige Strömung verlief von der Labradorsee über den Nordatlantik direkt zur Iberischen Halbinsel und von dort aus über Mitteleuropa weiter nach Westrussland.

Das Zentrum von Zyklone XANTHIPPE lag zu diesem Zeitpunkt genau unter dem Zentrum des Höhentiefs und verlagerte sich demnach nicht weiter nach Südosten, sondern leicht nordwestlich zurück zu den Färöer-Inseln, konnte sich aber weiter auf einen Kerndruck von etwa 964 hPa verstärken. Die Okklusion zog sich vom Kern in einem engen Bogen nach Osten, bevor sie sich über dem Europäischen Nordmeer auf der Breite Trondheims aufteilte. Die Warmfront hatte sich etwas nach Norden verlagert und verlief vom Okklusionspunkt aus über die Südwestküste Norwegens bis nach Schweden. Die Kaltfront erstreckte sich hingegen von der Nordsee, den Ärmelkanal und Galizien bis zur Inselgruppe der Azoren. Damit war Tiefdruckgebiet XANTHIPPE am 01.11. das dominierende Druckgebilde über weiten Teilen Europas.

Aufgrund des umfangreichen Frontensystems wurden von Tief XANTHIPPE am 02.11. kurzzeitig drei Zentren analysiert. Der Wirbel XANTHIPPE I, dessen langgezogene Okklusionsfront sich über Island bis nach Spitzbergen erstreckte, lag mit einem Kerndruck von 968 hPa über Schottland. Durch die weit nach Norden transportierte Warmluft wurde nach einer Höchsttemperatur von +2°C und einer Tiefsttemperatur von +1°C auf Spitzbergen ein frostfreier Tag verzeichnet. Tief XANTHIPPE III lag mit einem ähnlichen Kerndruck bei den Färöer-Inseln. Diesem Zentrum wurde eine langgezogene Warmfront zugeordnet, die sich über das Europäische Nordmeer und das Nordkap bis zum Weißen Meer ersteckte. Die Kaltfront war nicht eigenständig vorhanden, sondern Bestandteil der Okklusionsfront des mit seinem Zentrum über Dänemark liegenden Teiltiefs XANTHIPPE II, dessen Zentrum mit 976 hPa weniger stark ausgeprägt war, als die anderen beiden Teiltiefs. Dem Kern XANTHIPPE II wurde eine langgezogene Kaltfront zugeordnet, die sich über Westpolen, Bayern, der Côte d’Azur bis über das Baskenland erstreckte. Diese überquerte Deutschland von West nach Ost und führte auf der Rückseite milde Luftmassen heran. Diese erreichten den Osten Deutschlands aber nur in abgeschwächter Form, sodass dort mit 6 bis 8°C die niedrigsten Höchsttemperaturen gemessen wurden. In der Mitte wurde verbreitet die 10°C-Marke überschritten und im Breisgau sogar 15°C registriert. Niederschläge von mehr als 5 l/m² innerhalb von 24 Stunden fielen entlang des Rheins und der Oder-Neiße-Grenze, z.B. in Cottbus mit knapp 10 l/m².

Am 03.11. beeinflusste weiterhin das umfangreiche nordatlantische Tiefdrucksystem XANTHIPPE das Wettergeschehen über Nord- und Osteuropa. Die ehemaligen Teiltiefs XANTHIPPE II und III wurden an diesem Tag nicht mehr auf der Bodenwetterkarte analysiert, sodass nur noch Tief XANTHIPPE mit dem Zentrum, in dem ein Druck von ca. 970 hPa herrschte, zwischen Island und Schottland übrig blieb. Vom Kern reichte eine Okklusion nordwärts entlang der Ostküste Islands bis zum Polarkreis, wo sie sich aufspaltete. Die Warmfront verlief von dort über Jan Mayen bis nach Spitzbergen, die Okklusionsfront über das Europäische Nordmeer bis zum Nordkap. Zwischen Tiefdruckgebiet XANTHIPPE und dem Grönlandhoch gab es eine dichte Isobarendrängung, die von Island bis Jan Mayen zu einem kräftigen Windfeld führte. Auf Jan Mayen wurde die höchste Windböe mit ca. 108 km/h gemessen und in Reykjavik ca. 54 km/h als maximaler Mittelwind. Dabei schwankten die Temperaturen an beiden Stationen in einem engen Bereich zwischen -1 und +2°C. Gleichzeitig schwächte sich das Tiefdruckgebiet auf einen Kerndruck von etwa 983 hPa etwas ab und wurde ab dem 04.11. als frontenloses Tief geführt, das sich langsam über Irland hinweg nach Süden verlagerte. Dennoch war Zyklone XANTHIPPE deutlich im Bodendruckfeld und auf dem Satellitenbild als Wolkenwirbel zu erkennen. Das unterstrichen auch die Meldungen von Messstationen aus Irland und Großbritannien, wo z.B. in Shannon 11 l/m², in Bournemouth 17 l/m² und in Plymouth 23 l/m² Regen innerhalb von 24 Stunden registriert wurde.

Am 05.11. wurden weitere zweistellige 24-stündige Niederschlagssummen von den Britischen Inseln gemeldet, z.B. aus London mit 14 l/m² und erneut aus Bournemouth mit 17 l/m². Diese anhaltende Niederschlagstätigkeit ging aber mit einer weiteren Abschwächung sowohl des Druckfeldes als auch des Wolkenwirbels einher, sodass bereits am folgenden Tag nur noch Mengen unter 1 l/m² registriert wurden.

Bis zum 06.11. verlagerte sich Tief XANTHIPPE langsam weiter über den Ärmelkanal nach Frankreich, wo es sich schließlich mit einem Kerndruck von nur noch 1014 hPa auflöste und nach 9 Tagen letztmalig auf der Berliner Wetterkarte auftauchte.

 

Geschrieben am 17.12.2012 von Matthias Treinzen

Berliner Wetterkarte: 01.11.2012

Pate: Nikolai Roth