Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet XAVIER

(getauft am 03.10.2017)

 

Am 03.10.2017 wurde anhand einer Prognosekarte für 12 Uhr UTC, d.h. 13 Uhr MEZ, des folgenden Tages die Entstehung eines Tiefdruckwirbels entlang einer sich wellenförmig deformierenden Front eines östlich von Neufundland liegenden Tiefs vorhergesagt, und auf den Namen XAVIER getauft.

Am 04.10. befand sich das Tief um 00 Uhr UTC mit einem Druck von unter 1010 hPa südlich von Grönland über dem Atlantik, in etwa auf einem Breitengrad mit Dublin. Vom Kern erstreckte sich sowohl eine Warmfront in einem engen Bogen über Ost nach Süd, als auch eine Kaltfront nach West, die sich anschließend mit der Warmfront des östlich von Neufundland liegenden Tiefdruckwirbels verband, entlang dessen Frontensystem Tief XAVIER ursprünglich hervorgegangen war. Im Laufe des Tages verlagerte sich das Zentrum des sich rasch zu einem Sturmtief entwickelnden Wirbels XAVIER Richtung Großbritannien. Bereits gegen 12 Uhr UTC hatten dessen niederschlagsreiche Ausläufer Irland erreicht, und weiteten sich im weiteren Verlauf auf weite Teile Großbritanniens und den Nordseeraum aus. Bis 06 Uhr UTC des Folgetages wurden dabei binnen 24 Stunden im nordirischen Thomastown 22,6 mm, an der Station im walisischen Capel Curig 26,2 mm und im südirischen Finner 30 mm schauerartigen Regens registriert. Auch der Westwind verstärkte sich zunehmend. In Böen erreichte dieser in Capel Curig 111,2 km/h, in Fylingdales 122,3 km/h und auf dem Cairngorm, wo bereits tags zuvor Orkanböen bis 159,4 km/h gemessen wurden, nach kurzer Beruhigung erneut Orkanböen von bis zu 135,3 km/h. In den Abendstunden hatten erste Niederschläge auch den norddeutschen Raum erreicht und brachten vielerorts Niederschlagsmengen von über 15 mm in 12 Stunden mit sich. Beispielsweise fielen in Schwerin bis 06 Uhr UTC 16 mm, in Cuxhaven 21 mm und in Itzehoe 27 mm. An einigen besonders exponierten Lagen wurden auch hier bereits schwere Sturmböen gemessen. So meldete der Leuchtturm „Alte Weser“ inmitten der Deutschen Bucht Böen mit bis zu 104,5 km/h und die Station auf dem Brocken orkanartige Böen bis 115,3 km/h.

Bis zum 05.10. war die sich rasch zu einem Orkantief verstärkende Zyklone XAVIER nach Osten gezogen und wurde um 00 Uhr UTC mit einem auf unter 1005 hPa gefallenem Kerndruck über Südschottland, unweit von Edinburgh analysiert. In südlicher Richtung erstreckte sich zu diesem Zeitpunkt vom Kern ausgehend die Warmfront über Dover bis nach Le Havre, während die ihr nachfolgende Kaltfront sich über Liverpool und Cork in westlicher Richtung über den Atlantik zog, wo sie sich weiterhin mit der Warmfront des sich nur geringfügig in seiner Lage veränderten Tiefdrucksystems des Vortages verband. Das Niederschlagsband verlagerte sich vom Nordseeraum über Deutschland in Richtung Polen und brachte vielerorts Regenmengen von über 20 mm in 24 Stunden, wobei das Gros der Niederschläge zumeist in weniger als 6 Stunden fiel. So meldete beispielsweise Bremerhaven bis 06 Uhr UTC eine 24-stündige Niederschlagsmenge von 21 mm, Braunlage registrierte 31,2 mm und in Laage, südlich von Rostock gelegen, fielen 49,2 mm. Die größte Niederschlagsumme wurde mit 53,4 mm in Krempen in Schleswig-Holstein gemessen, im Berliner Raum fielen zwischen 9 mm in Tegel und 18 mm in Schönefeld. Auch aus dem polnischen Raum wurde intensiver Regen gemeldet. Bis 06 Uhr UTC kamen dabei in Zielona Góra, ehemals Grünberg, 13,7 mm, bei Gorzów an der Warthe 26,5 mm und in Szczecin 33,4 mm. Auf der Schneekoppe traten die Niederschläge teils als Schnee auf und brachten bis zu 13,7 mm mit sich.

Das Sturmfeld hatte mit der Annäherung des Kerns des Orkantiefs XAVIER in den Mittagsstunden die norddeutschen Küsten erreicht und zog anschließend in den Nachmittags- und Abendstunden über Mittel- und Ostdeutschland hinweg nach Polen. Neben besonders exponierten Lagen, wie auf dem Brocken, wurden die höchsten Windgeschwindigkeiten zumeist im Berliner Raum sowie in einigen Regionen Ostbrandenburgs gemessen. Die Anemometer der Station in Berlin-Dahlem registrierten orkanartige Sturmböen aus West bis Nordwest mit bis zu 111,7 km/h, am Flughafen Schönefeld, als auch in den Orten Lindenberg und Manschnow jeweils Orkanböen von bis 118,9 km/h und am Leuchtturm „Alte Weser“ bis in den Mittagsstunden ebenfalls Orkanböen um 122 km/h. Auf dem Brocken, an dessen Station auf 1142 Meter Höhe der Luftdruck zwischenzeitlich auf unter 864,6 hPa gefallen war, wurden bei einer mittleren Windgeschwindigkeit von 122,5 km/h gegen 12 Uhr UTC gar Böen von bis zu 176,5 km/h gemessen. Auch nach Abzug des Wirbels gen Polen wurden vom Brocken weiterhin schwere Sturmböen zwischen 90 und 93 km/h gemeldet. Ebenfalls hoch, jedoch allgemein etwas geringer als im ostdeutschen Raum, fielen die Windgeschwindigkeiten in Polen aus. So wurden aus Słubice, an der deutsch-polnischen Grenze zu Frankfurt a. d. Oder gelegen, schwere Sturmböen bis 90 km/h, aus Zielona Góra Böen bis 97,3 km/h und aus Kalisz nahe Breslau orkanartige Böen von 111,7 km/h registriert. Die höchsten Windgeschwindigkeiten wurden jedoch an der auf 1603 m über dem Meeresspiegel gelegenem Station auf der Schneekoppe gemessen. Hier erreichte der Nordwestwind zwischen 20 und 22 Uhr UTC Windgeschwindigkeiten von über 144 km/h und gegen 18 Uhr in Böen gar 201,7 km/h.

Um 00 Uhr UTC des 06.10. lag das Zentrum des an Intensität verlierenden Orkantiefs XAVIER bereits über Osteuropa und befand sich mit einem Kerndruck von knapp unter 995 hPa unweit des ukrainischen Riwne, westlich von Kiew. Die zugehörige Warmfront zog sich vom Kern in südöstlicher Richtung über Kiew nach Mariupol und die Kaltfront in südwestlicher Richtung über Baia Mare in Rumänien bis südlich von Budapest, wo sie in die Warmfront eines Tiefs über der Bucht von Venedig überging, welches entlang eben jener nach Südwesten voranschreitenden und zuvor den Alpenraum überquerenden Kaltfront entstanden war. Das einst ausgeprägte Niederschlagsband hatte allgemein an Intensität verloren und zog im Laufe des Tages von Polen über Weiß- und Westrussland in das Nordrussische Tiefland und die Wolgaregion. Anhaltender und teils schauerartig verstärkter Regen brachte dabei in Minsk bis 06 Uhr UTC binnen 24 Stunden 4 mm, in Lepel 7 mm und in Schlobin, wo in den 12 Stunden zuvor bereits 13 mm gefallen waren, 3 mm. Etwas stärker fielen die Niederschläge noch im russischen Raum, besonders aber entlang der Wolga und deren westlichen Nebenflüssen, aus. So wurde beispielsweise in Moskau eine 24-stündige Regenmenge von 8,3 mm gemessen, während in Nolinsk 15 mm, in Arsk 20 mm und bei Krasnyje Baki 21 mm registriert wurden. Das Windfeld hatte bereits über Mittel- und Ostpolen an Stärke verloren und schwächte sich über Osteuropa und Russland rasch ab. So erreichte der meist aus südwestlich bis westsüdwestlichen Richtungen wehende Wind über Weißrussland mit Böen zwischen 35 und 39 km/h Stärke 5, lokal auch 6, und über Litauen aus westlichen Richtungen kommend mit Böen zwischen 43 und 50 km/h Stärke 6 bis 7 auf der Beaufortskala. Entlang der Ostflanke des über das Nordrussische Tiefland hinweg ziehenden Wirbels XAVIER erreichte der Wind mit Böen zwischen 45 und 60 km/h ebenfalls Stärke 6 bis 7, in einigen Regionen, wie bei Menselinsk mit 68,4 km/h oder Culpanovo mit 72 km/h, auch Stärke 8. Lediglich auf der Schneekoppe wurden mit bis zu 115,3 km/h nochmals orkanartige Böen der Stärke 11 auf der Beaufortskala registriert.

Im Laufe des 06.10. hatte die Zyklone XAVIER begonnen allmählich von seiner zunächst östlich-südöstlichen Zugbahn nach Nordosten abzudrehen und befand sich gegen 00 Uhr UTC am 07.10. mit seinem Zentrum und einem Druck von weiterhin knapp 995 hPa nahe Wologda unweit des Onegasees über dem Nordwesten Russlands. Die Warmfront war in den vergangenen 24 Stunden vollständig von der ihr nachfolgenden Kaltfront eingeholt worden, wodurch sich entlang derer eine Okklusionsfront ausgebildet hatte, die die Eigenschaften beider Frontenarten in sich vereint. Diese erstreckte sich von Wolodga ausgehend zunächst Richtung Ural und anschließend dem Verlauf der Wolga grob folgend über Saratow bis nach Donezk, wo sie sich erneut mit der Warmfront des von Venedig über die Adria Richtung Südostitalien gezogenen, unbenannten Tiefs verband. Entlang der mit dem Wirbel nach Nordosten voranschreitenden Okklusionsfront konzentrierten sich die Niederschläge im Wesentlichen auf die Regionen entlang der nördlichen Wolga sowie des Uralgebirges als auch Teile Nordrusslands. Innerhalb von 24 Stunden brachte schwacher bis mäßiger, lokal auch schauerartig verstärkter Regen in Saratow 5,4 mm, bei Menselinsk 9 mm und in Arsk 16 mm. Weiter nördlich wurden aus Workuta 4,3 mm, aus dem südlich von Perm gelegenem Tschernuschka 14 mm und aus Karpogory, südlich von Archangelsk, 22 mm gemeldet. Der Wind spielte kaum noch eine größere Rolle. Höhere Windgeschwindigkeiten mit Böen über 40 km/h wurden im Zusammenhang mit Tief XAVIER noch entlang dessen Ostflanke, in der Uralregion verzeichnet. Der zumeist südliche Wind erreichte beispielsweise in Syktywkar Böen bis 43,2 km/h, in Perm bis 61,2 km/h sowie in Workuta bis 64,8 km/h.

Auf seiner nordöstlichen Zugbahn hatte das weiter an Intensität verlierende ehemalige Orkantief XAVIER die östliche Küstenregion der Barentssee erreicht und lag mit einem auf etwa 1000 hPa gestiegenem Kerndruck unweit der Insel Kolgujew. Nahe dem Zentrum reichte eine Okklusionsfront in einem Bogen über Workuta nach Südwesten und ging, ab Surgut den Charakter einer Warmfront annehmend, südlich von Perm in das Frontensystem des von Südostitalien über das Schwarze Meer gezogenen unbenannten Tiefs über. Größere, dem Tief direkt zuzuordnende Niederschläge kamen zuvor nur noch vereinzelt zusammen. Beispielsweise meldete Perm binnen 24 Stunden Niederschlagsmengen von lediglich 0,4 mm, Workuta hingegen von 5 mm und Ugut, südlich von Surgut gelegen, noch bis zu 14 mm.

Tief XAVIER zog auf seiner nordöstlichen bis östlichen Zugbahn im Tagesverlauf nach Nordsibirien ab, wodurch dieser am 09.10.2017 den von der Berliner Wetterkarte erfassten Analysebereich verließ und somit nicht mehr auf jener namentlich verzeichnet werden konnte.

 


Geschrieben am 18.11.2017 von Christian Ulmer

Berliner Wetterkarte: 05.10.2017

Pate: Alwin Franz Drees