Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet XENON

(getauft am 07.10.2013)

 

Im Laufe des 06.10. bildete sich über der Südspitze Grönlands im Bereich eines schwach ausgeprägten Höhentroges, d.h. eines Vorstoßes kalter Luft nach Süden in einer Höhe von 5,5 km, ein neues Tiefdruckgebiet am Boden mit einem anfänglichen Kerndruck von 1005 hPa. Es verlagerte sich mit der westlichen Höhenströmung und befand sich am 07.10. über dem Seegebiet zwischen Grönland und Island. Das Tiefdruckgebiet wurde an diesem Tag auf den Namen XENON getauft.

Am Tauftag des Tiefs XENON erstreckte sich vom Kern der Zyklone ausgehend eine kurze Okklusionsfront, welche eine Mischform aus Warm- und Kaltfront darstellt, nach Südwesten, bevor sie südöstlich der Südspitze Grönlands den Charakter einer Kaltfront annahm und bis über die Labrador-Halbinsel reichte.

Am 08.10. war der Höhentrog über dem Wirbel XENON, welcher mit seinem Zentrum zwischen den Färöer-Inseln und der Nordküste Schottlands analysiert wurde, weiterhin nur schwach ausgeprägt, sodass der Kerndruck mit knapp 1009 hPa sogar leicht anstieg. Die Warmfront reichte vom Zentrum aus in einem leichten Bogen bis nach Südskandinavien, die Kaltfront verlief vom Zentrum aus über Schottland nach Süden und dann zwischen Irland und Großbritannien südwestwärts auf den Atlantik hinaus. Die Luftmasse, die sich im Warmsektor, d.h. der Bereich zwischen Warm- und Kaltfront von Tief XENON befand und als subtropische Meeresluft analysiert wurde, brachte Irland und Großbritannien eine milde Nacht mit Tiefstwerten von verbreitet
15 bis 12°C. Gleichzeitig bestimmten dichte Wolkenfelder den Warmluftsektor, aus denen etwas Regen fiel. Die Mengen blieben aber fast überall unter 1 l/m². Im Gegensatz dazu trafen durch die Ostverlagerung von Tief XENON Wolken auf das skandinavische Gebirge und es kam zu teils ergiebigen Stauniederschlägen. Während in Bergen an der norwegischen Westküste am Vortag noch 47 l/m² innerhalb von 24 Stunden fielen, die sowohl durch Ausläufer von Tief WERNER als auch der Warmfront von Tief XENON ausgelöst wurden, waren es an diesem Tag 33 l/m², alleine durch den Einfluss von Tief XENON. Weiter nördlich registrierte die Wetterstation in Trondheim 12 l/m² innerhalb von 24 Stunden.

Am 09.10. gliederte sich ein namenloses Tief von Island kommend dem Tiefdruckgebiet XENON an und wurde an diesem Tag als Teiltief XENON II geführt. Das ursprüngliche Tiefdruckgebiet erhielt die Bezeichnung XENON I. Das Tief XENON I verlagerte sich mit einem Kerndruck von knapp unter 1000 hPa entlang des skandinavischen Gebirges nach Nordosten, während der Wirbel XENON II, welcher einen Druck von knapp 1003 hPa in seinem Zentrum besaß, von den Färöer-Inseln nach Osten zog. Beide Zentren lagen dabei nur etwa 600 km auseinander.

Im Laufe des Tages überquerte die Kaltfront der Zyklone XENON I Deutschland von Nordwest nach Südost. Mit maximal 3 Sonnenstunden,
z.B. im Lee des Harzes, waren sowohl vor als auch nach der Front viele Wolken bestimmend. Nennenswerte Regenmengen wurden bis zum Abend aber nur in Nordrhein-Westfalen mit bis zu 5 l/m² in Lüdenscheid und in Mecklenburg-Vorpommern mit bis zu 13 l/m² in Greifswald innerhalb von
12 Stunden gemessen. Erst in der Nacht nahm mit der Annäherung der Kaltfront des Tiefs XENON II die Niederschlagsintensität deutlich zu. Entlang der Mittelgebirge fielen 12-stündig zweistellige Regenmengen. Angeführt wird die Liste von der Station in Neuhaus am Rennweg mit 20 l/m², gefolgt von Mannheim und der Station Hoherodskopf im Vogelsberg in Hessen mit je 18 l/m². Aber auch in Dänemark wurden beim Durchgang der Kaltfront des Tiefs XENON II mit beispielsweise 11 l/m² in Skagen und 12 l/m² in Thyboron nennenswerte 24-stündige-Regenmengen verzeichnet.

Am 10.10. hatten sich die Teiltiefs XENON I und II weiter voneinander entfernt. Das Tief XENON I wurde über Lappland mit einem Kerndruck von 995 hPa analysiert, der Wirbel XENON II mit etwa 1001 hPa über dem Skagerrak. Die Warmfront des Tiefs XENON I verlief vom Zentrum aus über das Weiße Meer direkt bis zum Südural, die deutlich kürzere Kaltfront nach Süden entlang der Ostsee bis nach Schweden, wo diese in die Warmfront des Tiefs XENON II überging, die vom Zentrum des Tiefdruckgebiets ausgehend nur eine kurze Ausdehnung besaß. Dagegen verlief die Kaltfront südwärts entlang der dänischen Ostseeküste über Norddeutschland bis nach Frankreich und von dort über den Golf von Biskaya nach Nordwesten. Auf der Rückseite des Tiefs XENON II strömte dabei subpolare Meeresluft von Großbritannien nach Mitteleuropa. Dabei gingen die Temperaturen im Laufe des Tages immer weiter zurück. Im Süden Deutschlands sank die Schneefallgrenze auf 700 m. Im Alpenvorland lagen die Temperaturen am Abend nur noch knapp über dem Gefrierpunkt und in höheren Lagen bildete sich verbreitet eine Schneedecke aus. Der Hohenpeißenberg meldete zu diesem Zeitpunkt bereits eine Schneehöhe von 16 cm. In der Nacht schneite es im Bergland anhaltend weiter, wobei die 24-stündige Niederschlagsmenge von 53 l/m² in Garmisch-Patenkirchen bis zum Morgen zu einer 16 cm hohen Schneedecke führte. Auf dem Hohenpeißenberg erhöhte sich die Schneedecke am Morgen auf 35 cm und in Mittenwald sogar auf 42 cm. Ein zweiter Schwerpunkt mit hohen Niederschlagsmengen war in Sachsen und entlang der südlichen Elbe zu finden, wo gebietsweise um 20 l/m² fielen.

Auch in Österreich kam es zu ergiebigen Niederschlägen und zu einem Temperatursturz. Als Beispiel sei hier Innsbruck angeführt, wo die Tageshöchsttemperatur am Vormittag mit 13,5°C verzeichnet wurde, diese dann kontinuierlich zurückging und gegen 2 Uhr MESZ mit 0,1°C registriert wurde. Nach einer 24-stündigen Niederschlagsmenge von 56 l/m² wurde am Morgen eine geschlossene Schneedecke mit 10 cm Höhe gemessen.

Am 11.10. zog das Tief XENON I über Nordskandinavien nordwärts über die Barentssee. Mit einem Kerndruck von etwa 980 hPa konnte sich das Tiefdruckgebiet dank eines neuen kräftigen Höhentiefs  mit kalter Luft deutlich verstärken. Vom Zentrum aus verlief eine Okklusionsfront südostwärts bis zur Küste der russischen Region Nenzen. Von dort erstreckte sich die Warmfront parallel zum Ural bis zum Südural. Die langgezogene Kaltfront erstreckte sich entlang der Küste über den finnischen Meerbusen bis nach Südschweden. Auf der Rückseite strömte arktische Meeresluft in den Nordwesten Russlands, sodass z.B. aus Archangelsk 8°C und aus Murmansk nur noch 5°C als Höchsttemperatur gemeldet wurden.

Das Tief XENON II zog dagegen von Jütland zur belgischen Nordseeküste und schwächte sich dabei etwas ab. Mit der Südwestverlagerung entstand über Deutschland eine Luftmassengrenze, die vom Emsland bis nach Sachsen verlief. Nördlich davon wurden 14°C bis 18°C als Tagesmaximum gemessen, südlich davon ohne die Bergregionen meist 5°C bis 10°C. An dieser Luftmassengrenze traten auch die ergiebigsten Niederschläge auf, z.B. in Zinnwald mit 26 l/m² und in Belm mit 37 l/m² innerhalb von 24 Stunden.

Ein weiteres Teiltief bildete sich über Norditalien, welches unter dem Namen XENON III geführt wurde. Der Zyklone XENON III waren mehrere Frontensysteme zugeordnet. Vom Zentrum mit einem Kerndruck von etwa 1004 hPa verlief eine kurze Warmfront südlich der Alpen bis zur Tatra. Des Weiteren verlief eine Kaltfront vom zentralen Italien über die Balearen bis über den Nordwesten Spaniens. Die subpolare Meeresluft, die auf der Rückseite der Kaltfront über Spanien eingeflossen war, zeigte sich besonders deutlich an dem Temperaturunterschied der Tagesmaxima zwischen Barcelona mit 16°C und Sevilla mit 31°C.

Bis zum 12.10. verlagerte sich der Wirbel XENON I zur russischen Insel Nowaja Semlja, wobei sich das Zentrum durch das darüber liegende Höhentief weiterhin stabil mit etwa 980 hPa behaupten konnte. Die gut ausgeprägte Okklusionsfront verlief in einem Bogen bis zum Nordural, die Warmfront östlich des Urals nach Süden und die langgestreckte Kaltfront entlang des Urals über Moskau und das Baltikum bis nach Südschweden. Im Bereich der Fronten wurden kaum größere Niederschlagsmengen verzeichnet. Nur in dem Kaltluftbereich des Tiefs XENON I bildeten sich zahlreiche Schauer, die in Murmansk anfangs als Regen, später aber meist als Schnee fielen und sich innerhalb von 24 Stunden auf 7 l/m² summierten. Die Höchsttemperatur erreichte hier nur 3°C.

Die Wirbel XENON II und XENON III formierten sich über West- und Mitteleuropa zu einem Tiefdruckkomplex. Mit einem Kerndruck von 1014 hPa bzw. 1020 hPa waren beide Teiltiefs nur noch schwach ausgeprägt. Dabei verlief vom Zentrum des Tiefs XENON II eine Luftmassengrenze in Form einer Kaltfront am Boden über den Ärmelkanal, die Niederlande und den Norden sowie Nordosten Deutschlands bis zum Kern des Tiefs XENON III, von welchem sie weiter über Ungarn und Kroatien bis nach Zentralitalien reichte. Die Energie bezog der Komplex aus dem Kaltlufttropfen, welcher sich mit seinem Zentrum über Luxemburg befand und in dem Temperaturen von bis zu -28°C in etwa 5,5 km Höhe gemessen wurden. Über Südosteuropa wurde durch die Zirkulation entgegen des Uhrzeigersinnes Warmluft aus dem Mittelmeerraum herangeführt, sodass beispielsweise in Budapest eine Tageshöchsttemperatur von 24°C gemessen wurde. Auch im Nordosten Deutschlands führte ein Teil dieser Warmluft nördlich der beschriebenen, fast stationären Luftmassengrenze zu Tagesmaxima bis zu 16°C. Südlich dieser Grenze waren die Höchstwerte meist einstellig. Gemeinsam hatten alle Regionen in Deutschland, dass die Sonne mit meist unter einer Stunde kaum zu den unterschiedlichen Temperaturen beitrug. Nur im westlichen Ruhrgebiet schien die Sonne bis zu 4 Stunden. Durch intensive Hebungsvorgänge bildete sich von Ungarn bis nach Norddeutschland ein langgestrecktes Regengebiet in dem zum Teil schauerartig verstärkt hohe Niederschlagssummen verzeichnet wurden. Zum Beispiel fielen 24-stündig in Berlin-Dahlem 31 l/m², in Potsdam 32 l/m² und in Baruth 34 l/m². Auch in Bremerhaven und in Boizenburg gab es mit je 27 l/m² hohe 24-stündige Regenmengen. Entlang der Kaltfront von Tief XENON III über den Küstenbereichen der Adria blieb es meist bei einstelligen Niederschlagsmengen, z.B. in Dubrovnik mit 9 l/m².

Am 13.10. tauchte das nach Osten abziehende ehemalige Teiltief XENON I mit Zentrum über dem Nordural nicht mehr namentlich auf der Berliner Wetterkarte auf. Auch das Teiltief XENON III hatte sich über Ungarn weitgehend aufgelöst, sodass nur noch das Tief XENON II auf der Bodenwetterkarte analysiert und ab diesem Tag wieder als Tief XENON geführt wurde. Das Zentrum lag mit einem Kerndruck von etwa 1005 hPa über der niederländischen Nordseeküste. Die Okklusionsfront verlief vom Kern der Zyklone aus bis nach Mecklenburg-Vorpommern und spaltete sich hier, am sogenannten Okklusionspunkt, in eine Warmfront, welche bis zu den Karpaten reichte und eine Kaltfront auf, die südwärts bis nach Süditalien verlief. Die höchsten Niederschlagsmengen wurden im Bereich des Zentrums und entlang der Okklusionsfront gemessen. So fielen innerhalb von 24 Stunden in Rotterdam 39 l/m², in Amsterdam 32 l/m², in Kopenhagen und auf Bornholm je 23 l/m². Dabei unterschieden sich die Tageshöchst- und die Tiefsttemperaturen kaum voneinander und lagen meist bei kühlen 10°C. Außerdem entwickelte sich vorübergehend ein Starkwindfeld, welches der niederländischen und belgischen Küste Sturmböen der Stärke  9 bis 10 brachte.

Durch die Verlagerung der Fronten von Tief XENON nach Dänemark und  Polen fiel in Deutschland nur noch selten etwas Regen. Es zeigte sich bei wechselnder Bewölkung mehr oder weniger häufig die Sonne, sodass verbreitet wieder 2 bis 7 Sonnenstunden verzeichnet werden konnten. Die höchsten Temperaturen wurden mit Föhn am Alpenrand und an der Ostseeküste mit 15°C registriert.

Der Kaltlufttropfen erreichte am 14.10. Südostengland. Mit ihm verlagerte sich auch das zugehörige Bodentief XENON dorthin, welches weiterhin einen Kerndruck von etwa 1005 hPa aufwies und dort eine beeindruckende Wolkenspirale ausgebildet hatte. Gleichzeitig schwächte sich aber die nach Osten verlaufende Okklusionsfront ab. Auch die kurze Warmfront, die entlang der Karpaten verlief und die etwas westlich davon über Süditalien bis nach Tunesien verlaufende Kaltfront ließen in ihrer Wetterwirksamkeit deutlich nach. Die höchsten Regenmengen wurden an diesem Tag südlich des Zentrums durch ein von Nordwesten über die Benelux-Staaten bis nach Rheinland-Pfalz ziehendes Regengebiet ausgelöst. In Luxemburg kamen 24-stündig 31 l/m² zusammen, in Trier waren es 30 l/m² und auf dem Kahlen Asten 19 l/m².

Am folgenden Tag hatte sich das ehemalige Frontensystem des Wirbels XENON nach Norden bzw. Osten verlagert und löste sich dort auf. Dafür hatte sich eine neue Front ausgebildete, die sowohl einen Okklusions- als auch einen Kaltfrontcharakter besaß. Damit hielt der Nachschub des bereits am Vortag im Westen von Deutschland hereingezogenen Regengebietes mit neuen Regenwolken an, sodass erneut ergiebige Niederschläge fielen, die sich bis zum Schwarzwald und dem nordwestlichen Alpenrand ausdehnten. Allein 12-stündig fielen im Raum Stuttgart und der Schwäbischen Alb 20 bis 25 l/m², in Freudenstadt waren es sogar 30 l/m². Innerhalb von 24 Stunden summierte sich dort der Niederschlag auf 35 l/m². Die höchste 12-stündige Regenmenge wurde aus Bregenz am Bodensee mit 42 l/m² gemeldet.

Durch die Eingliederung des Höhentiefs in die Westströmung verlagerte sich dieses von England rasch nach Deutschland und damit auch das zugehörige Bodentief XENON. Dieses spaltete sich am 16.10. kurzzeitig nochmals in zwei Teiltiefs auf. Das Tief XENON I wurde mit einem Kerndruck von etwa
1006 hPa über der polnischen Ostseeküste analysiert, die Zyklone XENON II mit einem ähnlichen Kerndruck über der nördlichen Adria. Die zusammenhängende Okklusionsfront beider Teiltiefs, die sich von der polnischen Ostsee über Ostpolen und Ungarn bis nach Norditalien erstreckte, löste bei der Ost- bzw. Südostverlagerung erneut zweistellige 24-stündige Niederschlagsmengen aus, wie z.B. in Salzburg mit 14 l/m², Belgrad mit 15 l/m² und in Sofia mit 21 l/m². Die höchste Menge beim Frontdurchgang verzeichnete Dubrovnik mit 49 l/m².

Am 17.10. erschien das Tief XENON als ein kleinräumiger Tiefdruckkomplex mit zwei Zentren letztmalig über Südosteuropa auf der Berliner Wetterkarte. Dennoch wurde mit 32 l/m² innerhalb von 24 Stunden in Konstanza an der rumänischen Schwarzmeerküste nochmals eine hohe Niederschlagsmenge gemessen, bevor sich der Wirbel XENON über dem Schwarzen Meer weitgehend auflöste und somit eine Lebensdauer von 12 Tagen erreichte.

 

 

Geschrieben von Matthias Treinzen

Berliner Wetterkarte: 11.10.2013

Pate: Nikolai Roth