Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet XYNTHIA

(getauft am 26.02.2010)

 

Ein neuer Tiefdruckwirbel bildete sich im Laufe des 25.02. im Nordatlantik östlich der Bermuda-Inseln. Von dort zog dieser unter Verstärkung ostwärts und lag mit seinem Zentrum nur 30 Stunden später zwischen den Azoren und Madeira. Am 26.02. wurde dieser Wirbel auf den Namen XYNTHIA getauft und hatte sich auf einen Kerndruck von ca. 988 hPa verstärkt. Die Kanarischen Inseln und Madeira waren die ersten Inselgruppen, über die dieses kräftige Tiefdruckgebiet hinweg zog. Anhand der Beobachtungsdaten der Station Las Palmas ließ sich erkennen, welchen Einfluss ein sehr weit südlich ziehendes Tief auf das Wettergeschehen vor der Nordwestküste Afrikas haben kann.

Am 26.02. lag die Tageshöchsttemperatur dort bei 25,8°C und ging bis 22 Uhr Ortszeit auf 20,0°C zurück, was jedoch nichts Ungewöhnliches ist. Danach überquerte die Warmfront von XYNTHIA Gran Canaria, brachte dabei heiße Luft aus Nordwestafrika mit und sorgte so für einen kräftigen Temperaturanstieg. Bereits zwei Stunden später lag die Temperatur allerdings schon bei 28,5°C und stieg in weiteren zwei Stunden (02 Uhr Ortszeit) sogar noch auf 30,7°C an. Der kräftige Wind setzte aber erst gegen 03 Uhr ein und erreichte in nur kurzer Zeit schon Böen von bis zu 48 kn (ca. 89 km/h). Um 06 Uhr wurde mit 60 kn (ca. 111 km/h) dann die stärkste Böe gemessen. Gegen 10 Uhr erschien mit 45 kn (ca. 83 km/h) die letzte Böe und damit legte sich der Wind wieder genauso schnell, wie er vor 7 Stunden eingesetzt hatte. Eine weitere Besonderheit war, dass in diesem gesamten Zeitraum nicht ein Tropfen Niederschlag registriert wurde.

Im Laufe des 27.02. zog XYNTHIA mit ihrem Zentrum über die Iberische Halbinsel hinweg nach Frankreich. Dabei sank der Luftdruck im Zentrum rasch weiter auf unter 975 hPa. Aufgrund der starken Luftdruckgegensätze auf einem recht engen Raum erreichten die Böen an der Nordküste Spaniens und der Westküste Frankreichs mehr als 117 km/h (12 Bft), sodass XYNTHIA als ein Orkantief eingestuft wurde. Gleichzeitig führte sie auf ihrer Südostseite kontinentale Tropikluft aus Afrika heran, sodass die Tageshöchsttemperaturen z.B. in Granada auf sommerliche 26°C und an der algerischen Mittelmeerküste sogar über 30°C stiegen, z.B. am Flughafen in Algier 31,3°C (ein neuer Rekord für den Monat Februar) und westlich davon in Beni-Saf 34°C.

In der folgenden Nacht erreichte XYNTHIA dann den tiefsten Kerndruck von etwa 967 hPa über der Biskaya. Die Fronten von XYNTHIA erstreckten sich von ihrem Zentrum aus sehr weit in den Mittelmeerraum bzw. bis nach Nordwestafrika. Während die Kaltfront noch das Atlasgebirge in Marokko überquerte, lag ihre Warmfront schon über Sizilien und der libyschen Küste. Das stärkste Windfeld lag südlich des Tiefzentrums und zu diesem Zeitpunkt über den Pyrenäen und dem zentralen Frankreich. Von den dortigen Messstationen wurden nicht nur schwere Sturm- sondern auch einige Orkanböen gemeldet, wie z.B. aus Chateaurox mit 131 km/h, sowie Orleans und Auxerre mit je 122 km/h. Die höchste Wingeschwindigkeit im Bereich von XYNTHIA wurde auf dem Gipfel des Pic du Midi de Bigorre (Pyrenäen) registriert, wo eine Böe 238 km/h erreichte. Aber auch am Pariser Flughafen Charles de Gaulle traten mit bis zu 126 km/h Orkanböen auf. Die ersten nennenswerten 24-stündigen Niederschlagsmengen bis 06 Uhr UTC (entspricht 07 Uhr MEZ) durch XYNTHIA meldeten Brest (Frankreich) mit 29 Liter pro Quadratmeter, La Coruna (Spanien) mit 27 l/m², London-Heathrow mit 13 l/m² und Paris mit 11 l/m². Am Vormittag erreichte das Sturmfeld dann auch den Westen Deutschlands, wo an der Wetterstation in Trier ein Mittelwind von 76 km/h und Spitzenböen von bis zu 126 km/h gemessen wurden.

Im Tagesverlauf traten in Deutschland allerdings noch stärkere Böen auf. So wurden z.B. in Gütersloh Böen mit bis zu 150 km/h und auf dem Brocken sogar 180 km/h registriert. Diese hohen Windgeschwindigkeiten blieben dann auch nicht ohne Folgen. Die schwersten Schäden waren in Frankreich und Spanien zu verzeichnen. In Deutschland waren am stärksten die Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und das Saarland betroffen, wo zeitweise auch der gesamte Bahnverkehr stillgelegt wurde, ebenso wurden viele Flughäfen und Autobahnen gesperrt. Erste Schätzungen der versicherten Schäden in der Woche nach XYNTHIA sprachen von einer Summe von 1,5 bis 3 Milliarden Euro.

Die sehr milde Luft, die XYNTHIA mit sich führte, brachte nicht nur Höchstwerte von bis zu 16°C (teilweise schon am frühen Morgen föhnbedingt im Südwesten Deutschlands) mit sich, sondern auch Feuchtigkeit. In Deutschland fielen innerhalb von 24 Stunden verbreitet zweistellige Niederschlagsmengen, nur in Bayern, Thüringen und Sachsen blieben die Werte einstellig. Dazu schien die Sonne im Schwarzwald mit bis zu 6 Stunden am längsten, im restlichen Deutschland blieb es bei maximal 2 bis 3 Stunden Sonne bzw. im Nordwesten sogar ganztägig sonnenscheinlos. Außerdem sorgte XYNTHIA mit ihrer Warmluft dafür, dass von den noch teilweise vorhandenen Schneedecken im Flachland nur noch Schneereste verblieben. Nur aus den Mittelgebirgen und den Alpen wurden noch geschlossene Schneedecken gemeldet.

Am 01.03. verlagerte sich das Zentrum von XYNTHIA zum Baltikum. Der Kerndruck war in der Zwischenzeit schon auf ca. 987 hPa angestiegen und zeigte so eine deutliche Abschwächung. Dennoch floss auf der Rückseite von Tief XYNTHIA wieder neue polare Kaltluft nach Deutschland. Die Höchsttemperaturen erreichten so im Norden nur noch Werte zwischen 2 und 7°C, während im Süden nochmals bis zu 12°C gemessen wurden. In Bayern und Baden-Württemberg trug dazu die Sonne bei, die 8 bis 10 Stunden schien, während sich die Mitte und der Nordosten mit 1 bis 2 Stunden begnügen mussten. Obwohl der Wind im Vergleich zum Vortag schon deutlich nachließ, gab es dennoch verbreitet stürmische Böen in Deutschland. In der darauf folgenden Nacht setzte sich dann die Kaltluft immer mehr durch und so sanken die Temperaturen fast überall leicht unter den Gefrierpunkt.

In den nächsten Tagen verlagerte sich XYNTHIA von Finnland über das Weiße Meer zur Insel Nowaja Semlja. Trotzdem führte sie auf ihrer Südseite weiter recht milde Luft mit sich und sorgte dafür, dass im Nordwesten Russlands, wo vorher in den Nächten Temperaturen bis -30°C gemessen wurden, diese nur noch auf einstellige Werte sanken. Die Niederschlagstätigkeit hatte sich aber schon weitgehend abgeschwächt und so meldeten Wilna mit 6 l/m² und Minsk mit 7 l/m²

zwei der höchsten Mengen. Nur Murmansk bekam mit 16 l/m² noch einmal kräftigere Niederschläge ab, da sich die Okklusionsfront von Tief XYNTHIA kurzzeitig fast stationär über der Kola-Halbinsel befand.

Ab dem 04.03. breitete sich immer mehr das kräftige Sibirienhoch nach Westen aus und sorgte so für eine sehr schnelle Abschwächung von XYNTHIA. Diese löste sich dann auch im Laufe des folgenden Tages auf und erschien damit letztmalig auf der Berliner Wetterkarte. Sie erreichte eine Lebensdauer von 8 Tagen.

 

 


Geschrieben am 14.04.2010 von Matthias Treinzen

Wetterkarte: 28.02.2010

Pate: Wolfgang Schütte