Lebensgeschichte
Tiefdruckgebiet XYNTHIA
(getauft am 27.12.2018)
Am 1. Weihnachtsfeiertag 2018 entstand vor der amerikanischen
Küste, genauer gesagt südöstlich vom Bundesstaat Maine, an der Frontalzone ein
flaches Wellentief. Die Frontalzone beschreibt die Grenze von tropischer
Warmluft zu polarer Kaltluft. Gestützt durch ein Hochdruckgebiet über dem
kanadischen Bundesstaat Ontario und ein kräftiges Tiefdruckgebiet über der
Labradorsee wurde Kaltluft nach Südosten in Richtung des Golfstroms geführt.
Beim Aufeinandertreffen von Kalt- und Warmluft entstand ein Wellentief, welches
ein lokales Luftdruckminimum darstellt. Dieses Wellentief verstärkte sich
aufgrund der anhaltenden Kaltluftzufuhr und der damit auftretenden, recht
großen Temperaturunterschiede weiter. Zwei Tage später, am 27. Dezember um 01
Uhr MEZ, was 00 Uhr UTC entspricht, befand sich das Tiefdruckgebiet mit einem
Luftdruck von ca. 988 hPa bereits ca. 1000 km südwestlich von Island. Da eine
weitere Verlagerung nach Osten und eine Beeinflussung des europäischen Wetters
in Aussicht stand, erfolgte die Taufe des Tiefs in der Analyse des 27. Dezembers
auf den Namen XYNTHIA.
Ein Tiefdruckgebiet dreht sich auf der Nordhalbkugel gegen den
Uhrzeigersinn. Es besteht aus einer Kalt- und Warmfront. Im weiteren
Lebenszyklus einer Zyklone holt die schneller ziehende Kaltfront die Warmfront
ein. In der Folge entsteht eine Mischfront, welche als Okklusion bezeichnet
wird. Tief XYNTHIA befand sich aufgrund des weit zurückgelegten Weges bereits
in einem fortgeschrittenen Abschnitt des Lebenszyklus eines Tiefs, sodass sich
eine ca. 500 km lange Okklusion ausgebildet hatte. Im Verlauf des Tauftages
verlagerte sich der Kern von Tief XYNTHIA langsam nach Nordosten und befand
sich in der folgenden Nacht mit unverändertem Druck über dem Seegebiet zwischen
Island und Grönland. Die sich um das Zentrum gedrehte Okklusion überquerte am
Nachmittag des 27. Dezembers Island. Zwölfstündig fiel dabei ca. 1 mm an Niederschlag,
z.B. in Reykjavik 0,7 mm, auf den Westmännerinseln ca. 20 km südlich des
isländischen Festlandes waren es 4,0 mm. Bei 4 bis 6°C fiel aber durchweg
Regen.
Das Frontensystem von Tief XYNTHIA überquerte am 28. Dezember
tagsüber die Britischen Inseln. Bis 19 Uhr MEZ konnten innerhalb von zwölf
Stunden meist 0,1 bis 2 mm, wie in Glasgow mit 2,0 mm, registriert werden. Die
höchste Niederschlagsmenge wurde mit 6,0 mm in Tórshavn auf den Färöer-Inseln gemessen. Mit Durchgang der Front
traten Windböen von 50 bis 65 km/h auf, in den schottischen Highlands konnten
orkanartige Böen bis 115 km/h verzeichnet werden. Rückseitig der Front lockerte
es rasch auf, sodass noch 1 bis 3, in Schottland bis knapp 5 Stunden
Sonnenschein verzeichnet werden konnten. So registrierte Belfast 2,5 und
Edinburgh 3,0 Sonnenstunden. Die Luft erwärmte sich auf ungewöhnlich milde 7
bis 13°C in ganz Großbritannien.
Im weiteren Verlauf teilte sich das Druckgebiet über dem
Europäischen Nordmeer und das Hauptzentrum, sprich Tief XYNTHIA, verlagerte
sich bis zum 29. Dezember um 01 Uhr MEZ bis vor die norwegische Westküste nahe Tromsø. Der Druck im Kern erhöhte sich dabei leicht auf 988 hPa.
Das mittlerweile vollständig okkludierte Frontensystem reichte zu diesem
Zeitpunkt von Tromsø über Oslo bis Brüssel.
Dabei breiteten sich in der Folge leichte Regenfälle auf die Mitte und den
Norden Deutschlands aus. Bis 07 Uhr MEZ des 29. Dezembers wurden zwölfstündige
Regenmengen von 0,1 bis 2 mm registriert. Dresden vermeldete 0,7 mm,
Berlin-Dahlem und Hamburg jeweils 0,9 mm. Unter der dichten Wolkendecke des
Frontensystems kühlte es sich in der Nacht kaum ab, sodass von der Nordsee bis
Berlin und Brandenburg sehr milde 6 bis 4°C als Tiefstwert verzeichnet werden
konnten, während in der Südhälfte Deutschlands unter Hochdruckeinfluss teils
mäßiger Frost mit Temperaturen bis -6°C auftrat. Bis zum Mittag schwächte sich die
Okklusion von Tief XYNTHIA ab, sodass kaum noch Niederschläge in Deutschland beobachtet
wurden. Zeitgleich erreichten erste Ausläufer von Tief YVETTE die Nordsee mit
neuem Regen. Der Kern von Tief XYNTHIA verlagerte sich nachfolgend weiter nach
Nordosten in Richtung der Barentssee. Dabei beeinflusste das Tief am 29.
Dezember besonders die West- und Nordküste Norwegens mit milder Luft und
Regenfällen. Gebietsweise fielen hier 10 bis 25 mm, in Tromsø fielen 14,4 mm zunächst als Regen, später als Schnee. Die
Temperaturen stiegen hier auf 4 bis 8°C, während im Binnenland Schwedens der
Höchstwert teilweise nur um -10°C lag. In Tromsø
lagen am 28. Dezember 48 cm Schnee, bis zum 29. Dezember schmolz die
Schneedecke auf 37 cm, ehe neue Schneefälle die Schneedecke wieder auf 47 cm am
30. Dezember erhöhten. In der Nähe des Tiefdruckkerns traten aufgrund des
Luftdruckgradienten an der Nordküste Norwegens verbreitet Windböen um 100 km/h
auf, was der Stärke 10 auf der Beaufort-Skala entspricht.
Am 30. Dezember um 01 Uhr MEZ befand sich Tief XYNTHIA mit einem
wieder vertieften Druck von 973 hPa über der Barentssee. Dabei reichte die
Okklusion über den Westen Russlands bis über Kiew, zudem bildete sich eine neue
Kaltfront aus, welche über der Mitte Skandinaviens lag. Die Okklusion brachte,
wie in Deutschland, dem Westen Russlands und der Ukraine 1 bis 3 mm
Niederschlag, der bei Temperaturen von 0 bis -2°C aber als Schnee fiel. Hinter
der Kaltfront, welche meist nur geringe Mengen Niederschlag brachte, sank die
Temperatur bis zum Morgen des 30. Dezembers in Nordskandinavien auf -10 bis
-17°C.
Bis zum 31. Dezember zog Tief XYNTHIA weiter nordostwärts und
befand sich um 01 Uhr MEZ mit einem Druck von knapp 975 hPa über der Karasee.
Das Frontensystem brachte von der Halbinsel Kola bis zur Republik Koma in
Russland meist 0,1 bis 2 mm, welcher durchweg als Schnee fiel. Rückseitig der
Zyklone setzte sich die Kaltluftzufuhr im Norden Skandinaviens und dem
Nordwesten Russlands fort. Die Tiefsttemperaturen lagen am 31. Dezember von Mittelschweden
über Mittelfinnland bis Nordwestrussland gebietsweise unter -20°C. Die tiefste
Temperatur verzeichnete die Wetterstation Voutsu in Lappland mit -26,8°C.
Tagsüber stiegen die Temperaturen vom Nordkap bis zur Halbinsel Kola nur auf
-14 bis -10°C, während in Schweden durch Tief ZEETJE deutlich mildere Luft
herangeführt wurde. In Teilen von Mittelschweden wurden nach nächtlichen -25°C
Höchstwerte von +2°C erreicht.
Am 1. Januar war Tief XYNTHIA letztmalig auf der Berliner
Wetterkarte verzeichnet. Das Tief besaß um 01 Uhr MEZ keine Fronten mehr und
füllte sich im Verlauf weiter auf, sodass es sich bis zum Tagesende auflöste.
Von der Entstehung bis zur Auflösung legte Tief XYNTHIA knapp 8000 km zurück.