Lebensgeschichte
Tiefdruckgebiet
YORRICK
(getauft
am 15.12.2015)
Der Wetterverlauf des Monats Dezember
stellte sich für Mitteleuropa außergewöhnlich mild dar. So lagen die
Durchschnittstemperaturen in Deutschland zur Monatsmitte etwa 4 bis 6 Grad über
den jahreszeitüblichen Werten. Ursache hierfür war der wiederholte Vorstoß sehr
kalter Luftmassen aus dem arktisch-kanadischen Raum über dem Nordatlantik.
Hierbei traf die höhenkalte Luft auf das warme Oberflächenwasser des
subtropischen Atlantiks, wodurch beständig neue Tiefdruckwirbel entstehen
können. Diese verlagerten sich den westlichen und südwestlichen Höhenwinden
folgend weiter in Richtung Westeuropa und befördern, wie auf einem Fließband,
sehr milde Subtropikluft nach Europa.
Gleiches ereignete sich um den 15. Dezember
herum, als ein neuer Kaltluftvorstoß über dem subtropischen Atlantik, im
Bereich der Azoren, zu einer Zyklogenese führte. In den folgenden Stunden zog
dieser Wirbel unter Weiterentwicklung zu einem Sturmtief zügig nordwärts
Richtung Island und Skandinavien. Da dessen Ausläufer das Wetter in
Mitteleuropa erfassen sollten, wurde das in Entstehung begriffene Tief am 15.
Dezember in der Prognose für den Folgetag auf den Namen YORRICK getauft.
Am Morgen des 16. Dezembers konnte das Tief
YORRICK erstmals als kleinräumige Störung im Bereich einer Luftmassengrenze
über dem Ostatlantik auf den Wetterkarten analysiert werden. Zu diesem
Zeitpunkt lag der Luftdruck im Umfeld der Wellenstörung wenige hundert
Kilometer nördlich der Azoren bei knapp unter 995 hPa mit fallender Luftdrucktendenz.
Aufgrund günstiger, äußerer Bedingungen konnte sich die Welle YORRICK in den
folgenden Stunden rasant zu einem abgeschlossenen Tief mit Warm- und Kaltfront
weiterentwickeln, wobei auf Satellitenbildern am Ende des Tages eine eindrucksvolle
Wolkenspirale über dem Ostatlantik erkennbar war. Einhergehend mit dieser
Tiefdruckentwicklung gelangte ein neuer Schwall sehr milder Subtropikluft nach
Westeuropa. Dabei überquerte die mit dem Warmfrontaufzug verbundene Bewölkung
bereits in den Nachmittags- und Abendstunden die Britischen Inseln, ohne das
jedoch nennenswerte Niederschläge fielen. Dagegen stiegen die Temperaturen in
weiten Teilen Großbritanniens und Irlands auf milde 12 bis 14°C, in der
Londoner Innenstadt wurden sogar bis zu 16°C gemessen. Auch über Frankreich
machte sich die ausgesprochen milde Luft bemerkbar. Beispielsweise lag die
Höchsttemperatur in Paris, am Flughafen Charles de Gaulle, trotz wolkenverhangenem Himmel mit 15°C knapp 4 Grad über der des
Vortages.
Bis zum frühen Morgen des 17. Dezembers hatte
sich Tief YORRICK bereits über das Seegebiet knapp südlich von Island verlagert
und im Zentrum auf knapp unter 965 hPa vertieft. Das Drehzentrum mitsamt den
Ausläufern war auf den Satellitenbildern dieses Tages sehr gut erkennbar. Dabei
markierte das Wolkenband, welches sich vom Seegebiet südlich von Island über
den nahen Ostatlantik bis zu den Kanaren reichte, die Kaltfront des Tiefs. Die
Warmfront indes verlief zu diesem Zeitpunkt vom isländischen Raum über das
südliche Nordmeer bis etwa zur Nordsee. Im Zusammenhang mit der Kaltfront
hatten bereits in der Nacht kräftige Niederschläge den Westen der Britischen
Inseln erfasst. Bis zum Morgen um 06 UTC, was 07 Uhr MEZ entspricht, regnete es
in Irland und Schottland verbreitet 2 bis 5 mm, an exponierten Stellen in
Küstennähe auch an 15 mm in 6 Stunden. Mit ähnlicher Intensität zog das Niederschlagsband
tagsüber über Großbritannien hinweg weiter ostwärts und erreichte dabei den
Nordwesten Frankreichs und Spaniens. Gleichzeitig kam die Warmfront von der
Nordsee her nach Südskandinavien voran. Die damit einhergehenden, leichten bis
mäßigen Niederschläge, mit Schwerpunkt über Süd- und Westnorwegen, gingen
aufgrund der herangeführten Warmluft selbst in die Hochlagen des
Skandinavischen Gebirges zunehmend in Regen über. Dabei reichte die Spanne bei
der Niederschlagsmenge von wenigen Zehnteln Millimeter im Skagerrak bis zu 15 mm
in 12 Stunden an der Westnorwegischen Küste. Durch den anhaltenden Zustrom
subtropischer Luftmassen konnte sich der Warmsektor des Tiefs YORRICK weiter
nord- und ostwärts bis nach Mitteleuropa ausdehnen. Dabei wurde in Deutschland,
von höher gelegenen Bergstationen einmal abgesehen, überall die 10-Grad-Marke
überschritten. Die höchsten Temperaturen konnten dabei am Niederrhein und im
Rheinland gemessen werden. Beispielsweise wurden in Freiburg bei 6 Stunden
Sonnenschein frühlingshafte 17,4°C gemessen. In Hannover erwärmte sich die Luft
ohne Sonnenunterstützung auf Werte um 14°C, so wie übrigens auch an vielen
anderen Orten in Deutschland. Aber auch die Benelux-Länder und Frankreich
profitierten von der heranströmenden Warmluft aus Südwesteuropa mit Maxima
zwischen 14 bis 17°C. Nachts sanken die Temperaturwerte unter der Bewölkung
zwischen Nordfrankreich, den Benelux-Staaten und der Nordhälfte Deutschlands
kaum unter 10°C. So lag das Minimum etwa in Düsseldorf und Bochum bei
außergewöhnlich milden 12,4°C, in Paris waren es 11,0°C und in Antwerpen
12,0°C. Der Regen fiel im Zusammenhang mit der ostwärts vorankommenden
Kaltfront, war aber über Deutschland und den Benelux-Ländern von nur geringer
Intensität von meist unter 1 mm. Weiter südlich über Frankreich und Spanien
löste sich die Front zusehends auf.
Unterdessen hatte sich die Zyklone YORRICK bis
zum Morgen des 18. Dezembers in zwei Kerne mit jeweils knapp unter 975 hPa
aufgespaltet. Während der ursprüngliche Kern YORRICK I im Seegebiet südlich von
Island begonnen hatte sich abzuschwächen, hatte sich an der Ostflanke des Tiefs
über dem Nordmeer ein neuer Kern, YORRICK II, gebildet. Dieser übernahm in den
folgenden Stunden die Rolle des steuernden Tiefs und verlagerte sich langsam
nordostwärts Richtung Spitzbergen. Damit einhergehend kam auch die Warmfront
über Skandinavien weiter ostwärts voran, wobei die Niederschläge, die über
West- und Südskandinavien noch größtenteils als Regen fielen, über Schweden und
Finnland zunehmend in Schnee übergingen. Ursache war die zu diesem Zeitpunkt
über dem Norden Skandinaviens und Russlands einströmende Arktikluft mit
Tiefsttemperaturen bis nahe -30°C. Dabei kam es verbreitet zu kräftigen
Schneefällen mit Schwerpunkt über Lappland, Mittelfinnland und Karelien. Bis
zum darauffolgenden Morgen erhöhte sich die vorhandene Schneedecke dort um
meist 5 bis 10 cm, beispielsweise im karelischen Reboly, nahe der finnisch-russischen Grenze, von 10 auf 18
cm. Zwischen arktischer Kaltluft und herantransportierter Subtropikluft bildete
sich indes eine scharfe Luftmassengrenze heraus, die etwa auf einer Linie
Mittelschweden - Südfinnland - Petersburger Raum verlief. So erreichten die
Temperaturen in Stockholm beispielsweise +9,8°C, nur 300 km weiter nördlich
herrschte dagegen schon leichter Dauerfrost, so wie in Torpshammar
mit maximal -0,1°C. Gleichzeitig überquerte die Kaltfront mit leichten bis
mäßigen Niederschlägen, aber ohne nennenswerte Abkühlung bis zum Abend den
Osten Deutschlands und zog weiter nach Tschechien und Polen. So fielen mit der Frontpassage
etwa in München 0,4 mm, in Dresden 7 mm und in Berlin 2 mm Regen. Weiter
nördlich, über Skandinavien, kam die Kaltfront dagegen kaum weiter voran,
sondern wurde durch die Skandinavischen Alpen zurückgehalten. Dies führte vor
allem im Gebirgsstau entlang der westnorwegischen Küste zu weiteren Regenfällen
mit Intensitäten von um die 10 mm in 12 Stunden.
In der Nacht zum 19. Dezember erfolgte eine
erneute Transformation der Zyklone. Genauer gesagt wurde Tief YORRICK II
mitsamt seiner Ausläufer in die Zirkulation eines sich über Spitzbergen neu
entwickelnden Tiefdruckwirbels aufgenommen. Da sich auch der ursprüngliche
Kern, YORRICK I, südlich von Island vollständig aufgelöst hatte, konnte der
Wirbel YORRICK am Morgen des 19. Dezembers nicht weiter auf den Wetterkarten analysiert
werden. Die Ausläufer des Tiefs blieben aber darüber hinaus noch eine Weile
wetterwirksam. Vor allem im Bereich der weiter ostwärts vordringenden Warmfront
hielten die Niederschläge über Nordwestrussland, die nördlich der Wolga als
Schnee, südlich davon als Regen fielen, noch einige Zeit weiter an.
Die aus Tief YORRICK hervorgegangene
Zyklone indes entfernte sich in der Folge langsam weiter nordostwärts Richtung
Nordpolarmeer und hatte somit keinen Einfluss mehr auf das Wetter in
Mitteleuropa. Allerdings sorgte eine Vielzahl neuer atlantischer Tiefs dafür,
dass der Warmlufttransport nach Mitteleuropa auch bis zum Ende des Jahres
weiter aufrecht erhalten wurde. Dieser Monat war der wärmste Dezember seit
Aufzeichnungsbeginn. Allein in Berlin lag die Durchschnittstemperatur mit 7,1°C
um +5,9°C über dem 30-jährigen Mittel.
Geschrieben
am 04.01.2016 Gregor Pittke
Berliner Wetterkarte: 18.12.2015
Pate:
Philipp Pittke