Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet YU

(getauft am 04.09.2018)

 

Am 4. September 2018 befand sich ein Bodentief namens XENIA mit seinem Kern in der Nähe von Budapest. Die dazugehörige Front war vollständig okkludiert, was bedeutet, dass die Kaltfront die Warmfront bereits eingeholt hatte und eine Okklusionsfront, die die Eigenschaften von beiden Fronten vereint, entstand. Im Tagesverlauf verwellte sich diese Front und durch die Wellenstörung entstand am nördlichen Frontabschluss ein neues Tiefdruckgebilde. Da sich dieses Gebilde allerdings erst im Verlauf des 4. September gebildet hatte, konnte es an diesem Tag noch nicht auf der Bodenwetterkarte eingetragen werden, sodass die Berliner Wetterkarte das Tief in der Prognose für den 5. September auf den Namen YU taufte. Auf der Höhenkarte im 500hPa-Niveau konnte ein Langwellentrog südlich von Island, also ein Kaltluftvorstoß nach Süden, der sich von Westen her näherte, analysiert werden. Am Abend des 4. September erreichte dessen Ostflanke die Britischen Inseln. Zum gleichen Zeitpunkt bildete sich ein Randtrog über dem Ärmelkanal aus, der im Verlauf Frankreich erreichte und für Hebungsantrieb sorgte. Dies führte zu einem Druckabfall über Westeuropa und begünstigte die Entstehung von Tief YU am Boden. Im Bereich des Tiefs bildeten sich entlang einer Tiefdruckrinne über den Beneluxstaaten und im äußersten Nordosten Frankreichs Schauer und einzelne Gewitter, verbunden mit lokalem Starkregen und Hagel. Unter einer Tiefdruckrinne versteht man in der Meteorologie eine langgestreckte Zone tiefen Luftdruckes, die zwei oder mehrere lokale Tiefdruckgebiete miteinander verbinden kann. Da die Zuggeschwindigkeit der Gewitterzellen bei schwacher Strömung nur gering war, wurde örtlich die Unwetterschwelle, also stündlich mindestens 25 mm Niederschlag, überschritten. Dabei waren die Regenmengen lokal äußerst verschieden: Während ein starker Schauer einer kleinen französischen Gemeinde namens Rouvroy-les-Merles, etwa 100 km nördlich von Paris, in der Nacht zum 5. September innerhalb einer Stunde bis 02 Uhr UTC, also 03 Uhr MEZ, eine Niederschlagsmenge von 13,2 mm brachte, kam im selben Zeitraum im nur 45 km nordwestlich gelegenen Amiens nur eine Regenmenge von 0,2 mm zusammen.

Ein leichter Druckfall führte zu einer Ausweitung der Tiefdruckrinne von Frankreich bis in die Niederlande, sodass sich am frühen Morgen des 5. September besonders in der Region rund um Den Haag und Rotterdam schwache bis mäßige Gewitter ausbilden konnten, die örtlich die Unwetterschwelle überschritten. So konnte in Cabauw, einem Dorf in der niederländischen Provinz Utrecht, bis 05 Uhr UTC eine einstündige Niederschlagsmenge von 27,6 mm verzeichnet werden. In der darauffolgenden Stunde wurden in Rotterdam zwar keine unwetterartigen Regenfälle, aber immerhin auch noch 11,4 mm Regen gemeldet. Durch die Ausbildung einer Konvergenzlinie, die innerhalb der Tiefdruckrinne eingebettet war, konnte sich die Gewitteraktivität bis in den Nachmittag in den Niederlanden halten. Im Bereich einer Konvergenzlinie strömt Luft horizontal zusammen, sodass sie zum vertikalen Aufstieg gezwungen wird. Je stärker die vertikalen Hebungsprozesse sind, desto hochreichender türmen sich Wolken auf. In der Folge können sich kräftige Schauer und Gewitter bilden. Erst ab dem Nachmittag verlagerte sich die Hauptaktivität in das nördliche und östliche Belgien sowie nach Westdeutschland. Wie langsam die Strömung am Boden war, ließ sich auch anhand der nahezu stationären Lage des Kerns von Tief YU feststellen: Zum Nachttermin des 5. September, also um 00 Uhr UTC, befand sich der Kern mit einem Luftdruck von etwa 1017 hPa westlich von Köln, 24 Stunden später etwas südlich von Köln. Mit einem für ein Tiefdruckgebiet recht hohen Luftdruck war die Zyklone bis zu diesem Zeitpunkt noch relativ schwach ausgeprägt. Auch Fronten besaß die Zyklone YU am 5. September noch keine. Ab dem Nachmittag des 5. September gestaltete sich das Wetter im äußersten Westen Deutschlands wechselhaft. Im Zusammenhang mit Tief YU und der sich in diese Region verlagernden Konvergenzlinie kam es dort zu teils kräftigen Schauern und Gewittern, die mancherorts bis in die Nacht anhielten. Dies wurde vor allem durch die feuchten Luftmassen, den Tagesgang der Sonneneinstrahlung und den orographischen Antrieb unterstützt. Vor den Gewittern konnten in Rheinland-Pfalz, Mittelhessen und entlang des Rhein-Main-Gebiets schwül-warme 30°C gemessen werden. Stellenweise lagen die Tageshöchstwerte sogar noch über der 30°C-Schwelle, wie beispielsweise in Bad Nauheim mit 32,5°C. Bis 16 Uhr UTC kamen bereits zweistellige einstündige Niederschlagssummen zusammen, wie z.B. 11,0 mm in Rodder, einer kleinen Gemeinde bei Adenau in der Vulkaneifel und 19,2 mm im luxemburgischen Aasselbur. Die mit Abstand höchste Menge wurde jedoch mit knapp 42 mm im belgischen Diepenbeek bei Lüttich gemessen. In der Nacht zum 6. September kam die Bildung weiterer Schauer und Gewitter nach nur kurzer Wetterberuhigung wieder in Gang. Diese konnten sich langsam nach Osten vorarbeiten, sodass es erneut zu Starkregen kam. Bis zum Morgen summierte sich der Niederschlag im rheinland-pfälzischen Trier 24-stündig auf 43,4 mm und in Gerolstein auf 34,0 mm. Ansonsten wurden entlang der deutsch-niederländischen Grenze gebietsweise zwischen 10 und 23 mm Regen verzeichnet.

Bis zum 6. September gelang Deutschland auf die Vorderseite eines Höhentiefs über Westeuropa, das sich im Tagesverlauf südwärts ausdehnte und über England hinweg über die südwestliche Nordsee zog. Mit der Südostverlagerung des Höhentiefs näherte sich der südlich des Höhenwirbels vorhandene Höhentrog Mitteleuropa an, sodass dort Hebung der Luft einsetzen konnte. Aufgrund dessen verstärkte sich das Bodentief YU auf einen Kerndruck von etwas unter 1015 hPa. Der Druckabfall führte zu einer weiteren Ausprägung der Tiefdruckrinne. Mit eingelagerter Konvergenzlinie, die mitten durch den Kernbereich von Tief YU verlief, kam die Tiefdruckrinne im Laufe des Tages nach Osten voran. Am Nordteil der Rinne bildete sich ein weiteres, unbenanntes Tief aus, das am Abend über der Deutschen Bucht verortet wurde. Davon ausgehend formierte sich eine Kaltfront nach Süden. Da zwischen Konvergenz und Kaltfront die stärkste Wetteraktivität in Form schauerartiger Regenfälle und Gewitter aufgrund der besten Überlappung von Labilität und hoher Luftfeuchtigkeit besteht, konnten dort besonders am Nachmittag teils kräftige Schauer und Gewitter beobachtet werden, die jedoch wiederum nur lokal anzutreffen waren. So kamen beispielsweise im pfälzischen Hunsrück in den nur 65 km entfernten Orten Kirn und Alzey bis 15 Uhr UTC innerhalb drei Stunden 20,1 und 31,0 mm gemessener Niederschlag zusammen, derweil es genau mittig der Orte nur 5 bis 8 mm regnete. Dass die Orographie besonders bei der Bildung von Gewitterzellen eine Rolle spielt, kann man an den Niederschlagsmengen auf dem zweithöchsten Gipfel im Mittelgebirge Vogelsberg erkennen: Dort registrierten die Messgeräte im gleichen Zeitraum 70,5 mm Niederschlag durch unwetterartigen Starkregen. In den tiefer gelegenen Orten rund herum kamen hingegen kaum messbare Mengen zusammen. Bis zum Abend kam die Schauer- und Gewitterlinie bis zum westlichen Schleswig-Holstein über Thüringen und dem westlichen Bayern voran. Weiter östlich davon blieb es hingegen noch trocken, da vor der Tiefdruckrinne trockene Luft aus Osten heranströmte und somit die für Wolkenbildung nötige Feuchtigkeit fehlte. Durch die mitgebrachte Kaltluft nach Durchgang der Kaltfront stabilisierte sich im Westen und Nordwesten die vertikale Luftschichtung wieder und führte im Laufe des Abends zu Wetterberuhigung. Auch die Temperaturen spiegelten den Durchgang der Kaltfront wider: Während im Osten bei ganztägiger Sonneneinstrahlung Höchstwerte bis 29°C erreicht wurden, wie z.B. in Bernburg (Saale), konnte sich in Westdeutschland die Luft teils nur noch auf 18°C am Nürburgring erwärmen. In der ersten Nachthälfte verstärkten sich die Gewitter zunächst noch, wobei Niederschlagsschwerpunkte in Schleswig-Holstein und am Alpenrand lagen. Bordelum an der Nordsee meldete um 00 Uhr UTC des Folgetages eine 6-stündige Niederschlagsumme von 35 mm, Leck 27 mm und in Ettal-Linderhof bei Garmisch-Partenkirchen fielen sogar 61,7 mm Regen. Auch in Sachsen-Anhalt fielen gebietsweise noch rund 10 mm, wie in Bernburg. Später schwächten sich die Regenfälle wieder ab, sodass in Brandenburg in den Morgenstunden erneut nur wenig ergiebige Mengen fielen. Während in Wiesenburg noch 3 mm Regen gemessen wurden, gab es in Berlin-Dahlem nur noch 0,5 mm Regen. In den nächsten Tagen setzte sich meist regenlose Zeit und damit die anhaltende Trockenheit fort.

Am 7. September war Tief YU mit der bereits erwähnten Kaltfront verbunden. Der Kern befand sich mit einem verstärkten Druck von knapp 1010 hPa an der Westküste Dänemarks, südlich abgehend verlief die Kaltfront bogenförmig über Deutschland und Südfrankreich bis über die Pyrenäen, während vom Kern aus Richtung Norden eine Warmfront bis an die Atlantikküste Norwegens reichte. Im Tagesverlauf überquerte die Kaltfront Deutschland. Die Höchstwerte lagen beispielsweise in Berlin bei 23 bis 24°C, nur etwa 2 Grad weniger als am Vortag. Von der Nordsee über das Ruhrgebiet bis zum Saarland konnte sich die Luft nur auf 17 bis 19°C erwärmen, da sich diese Regionen im Tagesverlauf bereits hinter der Kaltfront und damit im Bereich der kalten Luft befanden. Besonders im Südosten des Landes konnten sich mit Durchgang der Kaltfront einige Schauer und kurze Gewitter entwickeln, welche von der Oberlausitz über das Vogtland bis zum Alpenrand zwölfstündig 1 bis 5 mm, in Bayern bis zu 15 mm Regen bis 18 Uhr UTC brachten. Auch in Berlin-Schönefeld konnten 4,5 mm Niederschlag registriert werden, während der Großteil Berlins unter 1 mm blieb. In Dahlem konnten nur 0,1 mm gemessen werden, sodass sich die Niederschlagsumme im September bis zu diesem Zeitpunkt auf gerade einmal 1,3 mm erhöhte. Der trockenste September konnte damit bereits nicht mehr erreicht werden, da 1928 im gesamten Monat nur 0,5 mm Niederschlag registriert wurden. Einen zweiten Niederschlagsschwerpunkt gab es rund um die Nordseeküste. Bei kalter Luft und so 18 bis 19°C kam es zu zahlreichen Schauern und einzelnen Gewittern. Bis zum nächsten Morgen konnten an der Küste 24-stündige Regenmengen von 10 bis 20 mm vermeldet werden. Den Spitzenwert erreichte Helgoland mit 24,0 mm. Daneben konnten besonders das dänische Festland sowie die Südspitze Norwegens durch die Nähe zum Kern bzw. am Okklusionspunkt ergiebige Regenmengen verzeichnen: Bis zum Abend des 7. September wurde die größte Niederschlagssumme in Dänemark mit 51 mm innerhalb 12 Stunden in Aalestrup ausfindig gemacht. Im gleichen Zeitraum vermeldeten Kristiansand 44 mm und der Leuchtturm Lista Fyr 68 mm. Neben den zahlreichen Schauern spielte auch der Wind eine Rolle. Durch den Druckgradienten auf der Südseite des Höhentiefs wurden gebietsweise Windböen der Stärke 8 auf der Beaufortskala erreicht, wie beispielsweise in Bremerhaven mit 67 km/h oder Büsum mit 69 km/h. Rückseitig der Kaltfront setzte sich kühlere subpolare Meeresluft durch, welche zunehmend unter den Einfluss des Hochs PERRYMAN, welches sich von der Biskaya bis nach Ostfrankreich verlagerte, gelangte. Da die Luft relativ trocken war, wurden in der Nacht sehr niedrige Temperaturen erreicht. In einem Streifen vom Saarland bis Mecklenburg-Vorpommern sank die Temperatur gebietsweise unter 10°C, teils sogar unter die 5°C-Marke. Am kältesten wurde es in Manderscheid in der Südeifel mit 2,2°C.

Bis zum Morgen des 8. September positionierten sich das Höhentief und das daran gekoppelte Bodentief YU mit ähnlichem Kerndruck wie zuvor von der westlichen Nordsee bis über das Skagerrak. Die dazugehörige Front war nun nahezu vollständig okkludiert und verlief von kurz vor der isländischen Südostküste Richtung Südosten durch den Kern über Südschweden, Warschau und Budapest bis San Marino. In Polen brachte die Front nur vereinzelt große Niederschlagsmengen. Bedingt durch die Orographie gab es besonders in der Umgebung der Hohen Tatra durch einige Schauer und Gewitter teils hohe Regenmengen. Dort fielen bis 18 Uhr UTC zwölfstündig 10 mm Niederschlag in Zakopane bis 18 mm in Lesko. Am meisten Regen kam an diesem Tag zwölfstündig bereits bis zum 06-Uhr-UTC-Termin in Südnorwegen zusammen. Dort wurden örtlich 60 mm Regen überschritten, wie z.B. in Byglandsfjord. Im Tagesverlauf weiteten sich die Niederschläge nach Norden aus, so dass bis zum Abend ebenfalls innerhalb 12 Stunden an der norwegischen Station Vest-Torpa nochmals 24 mm vermeldet wurden. In Deutschland dagegen gestaltete sich der Wetterverlauf im Bereich des Hochs PERRYMAN meist ruhig. Lediglich im Nordwesten kam es auf der Südseite von Tief YU zu weiteren Schauern, die in den küstennahen Gebieten zum Teil kräftig ausfielen. So vermeldete die Messstation in Krempel, einer kleinen Gemeinde im Westen Schleswig-Holsteins, bis 18 Uhr UTC zwölfstündige Niederschlagsmengen von 11 mm. Auf Sylt kamen bis zum Morgen im gleichen Zeitraum ebenfalls 11 mm zusammen. Unter Zustrom maritimer Subpolarluft konnten die Temperaturen bei zahlreichen Schauern nur auf 18 bis 19°C an der Nordseeküste ansteigen.

Am 9. September lag der Tiefdruckkern der Zyklone YU mit weiterhin knapp 1010 hPa südwestlich von Bergen. Die zugehörige Okklusionsfront zog derweil weiter nordwärts bis über die Mitte Skandinaviens, war aber nur noch wenig wetterwirksam. So kamen von Umeå am Bottnischen Meerbusen bis Trondheim am Nordatlantik lediglich 1 bis 4 mm Niederschlag in einem Zeitraum von sechs Stunden bis 12 Uhr UTC zusammen. Dem Süden Norwegens wurden auch an diesem Tag noch teils zweistellige Niederschlagsmengen beschert, allerdings war dafür nicht mehr die Okklusionsfront von Tief YU verantwortlich, sondern bereits das darauffolgende von den Britischen Inseln kommende Tiefdrucksystem. Der Wirbel YU löste sich im Tagesverlauf mitsamt der Okklusionsfront vollständig auf. So konnte die Zyklone am 9. September das letzte Mal auf dem Analysebereich der Berliner Wetterkarte verzeichnet werden.