Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet YVES

(getauft am 30.05.2011)

 

Am 30. Mai 2011 bildete sich über den Britischen Inseln ein Tiefdruckgebiet, das auf den Namen YVES getauft wurde.

Es entstand als Wellentief an einer Luftmassengrenze, die sich vom mittleren Nordatlantik bis nach Südskandinavien zog und verhältnismäßig kalte Luft im Norden von relativ warmer Luft im Süden voneinander trennte. In ca. 5,5 Kilometern Höhe, die für die großräumige Höhenströmung und somit auch für die Bewegung der Druckgebilde am Boden verantwortlich ist, betrug die Temperatur vor der Nordwestküste Irlands -32°C, über dem Ärmelkanal lag sie bei etwa -15°C. Die tiefen Temperaturen in der Höhe nördlich der Luftmassengrenze waren gleichbedeutend mit tiefem Luftdruck nördlich der Britischen Inseln, gleichzeitig war der Luftdruck in der Höhe weiter südlich über dem westlichen Mitteleuropa, wo es wärmer war, höher. Zwischen dem Höhentief im Norden und dem Höhenhoch im Süden herrschte eine kräftige westliche Strömung, der sogenannte Polarfrontjet. Dies hatte zum einem zur Folge, daß die Luftmassengrenze verwellte, sich also vom entstandenen Tiefdruckzentrum über England ausgehend über die Nordsee bis zur die Ostfriesischen Inseln eine Warmfront ausbildete, während von England nach Westen bis in die Mitte des Nordatlantiks eine Kaltfront zu finden war. Zum anderen bewegte sich das Zentrum des Tiefdruckgebietes YVES mit der Höhenströmung weiter. Da diese auf südwestliche Richtungen schwenkte, verlagerte sich das Bodentief YVES nach Nordosten und beeinflusste das Wetter in Mitteleuropa. Auf der Vorderseite des Tiefdruckgebietes YVES wurde warme bis heiße Luft aus Südwesten herangeführt, sodass die Temperatur in Deutschland auf bis zu 33,7°C in Bendorf am Mittelrhein stieg. Auch in den übrigen Landesteilen wurden Werte um 30°C erreicht. So lag beispielsweise das Maximum an der Wetterstation in Potsdam bei 31,2°C.

Bis zum Morgen des 31. Mai war der Wirbel YVES mit seinem Zentrum bis zum Skagerrak vorangekommen. Die Warmfront erstreckte sich von dort ausgehend über die Ostsee und Lettland bis ins westliche Russland, während die Kaltfront über die Nordsee, Belgien und Frankreich bis zur Biskaya reichte. Dazwischen befand sich der sogenannte Warmluftsektor über Mitteleuropa. Vor der Kaltfront, die sich von der Nordsee und den BeNeLux-Ländern näherte, bildeten sich im Tagesverlauf zwei sogenannte Konvergenzlinien, an denen sich durch Zusammenströmen unterschiedlicher Luftmassen Schauer bildeten. Diese brachten im Westen Deutschlands örtlich Niederschlagsmengen von über 10 Liter pro Quadratmeter zwischen 8 Uhr und 14 Uhr Ortszeit. In Köln-Bonn fielen zum Beispiel 14 l/m² Regen. Die großen Temperaturunterschiede in Deutschland werden beim Blick auf zwei Höchsttemperaturwerte vom 31. Mai deutlich. In Potsdam wurde im Warmluftsektor ein Maximum von 33,2°C erreicht, in Aachen waren es nur 13,9°C und damit fast 20 Grad kälter als in Potsdam. Die höchste Niederschlagsmenge wurde in Bayern erreicht. Im oberpfälzischen Kümmersbruck fielen innerhalb von 24 Stunden bis zum nächsten Morgen 57,9 l/m² Regen.

An diesem Morgen des 1. Juni befand sich das Zentrum des Tiefdruckgebietes YVES vor der Küste von Nordnorwegen. Von dort reichte die Okklusionsfront, die aus der Vereinigung der schnelleren Kaltfront mit der langsameren Warmfront entstanden war, bis zum norwegischen Festland. Anschließend erstreckten sich die übrige Warmfront bis nach Weißrussland und die dazugehörige Kaltfront bis nach Nordschweden. Hinter der Kaltfront strömte deutlich kühlere Luft auch in die Regionen, an denen es am Vortag noch heiß war. In Potsdam betrug die Höchsttemperatur zum Beispiel nur noch 19,7°C.

Im Tagesverlauf okkludierte das Tiefdruckgebiet YVES weiter, das heißt, die Kaltfront holte die Warmfront immer mehr ein. Die Zyklone YVES ging in eine umfangreiche Tiefdruckzone im Nordosten Europas über. In Richtung Süden zog sich in Verlängerung der Kaltfront eine teils wellenförmige Okklusion mit mehreren neuen Tiefdruckkernen über die Ostsee und das östliche Mitteleuropa bis nach Norditalien, wo der Anschluss zu einem Tief im Bereich des Golfs von Genua hergestellt wurde. Auch nördlich des Zentrums des Tiefdruckgebietes YVES befand sich ein komplexes Tiefdrucksystem mit dem steuernden Wirbel WINFRIED über Spitzbergen. Am 1. Juni war das Tiefdruckgebiet YVES zum letzten Mal als eigenes Druckgebilde auf der Berliner Wetterkarte zu erkennen.


Lebensgeschichte geschrieben am 30.06.2011 von Heiko Wiese

Ausgewählte Berliner Wetterkarte: 30.05.2011

Pate: Fabian Schaaf