Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet ZLATINA

(getauft am 27.04.2020)

 

Der 26. April sollte die "Geburtsstunde" eines neuen Tiefs sein, welches in der Walpurgisnacht und am 01. Mai das Wetter bei uns in Mitteleuropa bestimmen sollte. Gebildet hatte sich der Wirbel über dem Nordatlantik im Bereich einer Luftmassengrenze, die durch den Vorstoß arktischer Kaltluft Richtung Labradorbecken respektive dem Nordatlantik entstand. Am darauffolgenden Tag tauchte das sich formende Tiefdruckgebiet, das auf den Namen ZLATINA getauft wurde, erstmals in der Berliner Wetterkarte auf. Das Zentrum befand sich um 00 Uhr UTC, was 02 Uhr MESZ entspricht, auf etwa halber Strecke zwischen Grönland und den Azoren. Hier lag der niedrigste Luftdruck bei knapp unter 1005 hPa, mit fallender Tendenz. Bereits an jenem 27. April machte sich die Zyklone erstmals bemerkbar, als kompaktere Wolkenfelder und einzelne Regenschauer über den Azoren aufzogen.

Am darauffolgenden Tag verblieb das Tief über dem mittleren Nordatlantik, vertiefte sich aber weiter, nach Daten den britischen MetOffice von 994 hPa am frühen Morgen des 28. Aprils bis auf 987 hPa zum Tagesende. Das Frontensystem, welches im Wesentlichen aus einer Okklusion, also Mischform aus Warm- und Kaltfront bestand, spannte sich vom Kern aus in einem weiten Bogen mehrere tausend Kilometer in südliche Richtungen über den subtropischen Atlantik. Es drang langsam weiter ostwärts voran und erreichte in der sich anschließenden Nacht den äußersten Westen des europäischen Festlandes. So brachten erste Niederschläge bis zum darauf folgenden Morgen 06 Uhr UTC im galizischen Vigo 7 l/m², im bretonischen Brest 6 l/m² und im irischen Cork 10 l/m².

Am 29. April gelangte der Wirbel in den Bereich einer kräftigen Höhenströmung und wurde rasch mit Schwerpunkt Richtung Britische Inseln transportiert. Der Luftdruck blieb dabei stabil bei knapp unter 990 hPa. Gleichzeitig griffen die mit der Okklusionsfront verknüpften Regenfälle weiter aufs Festland über, vor allem auf die Britischen Inseln und Frankreich. Mit durchschnittlich 3-5 l/m² zwischen 06 und 18 Uhr UTC blieben die Niederschlagsmengen moderat, punktuell wurden aber auch größere Mengen von 10-15 l/m² registriert, so wie im walisischen Mumbles bei Swansea (12 l/m²). Mit Annäherung des Tiefs lebte auch der Wind spürbar auf, vor allem an der nordwestfranzösischen Atlantikküste, sowie über Südwestengland erreichte der Wind am Abend in Böen Stärke 8 bis 9, an exponierten Stellen auch darüber. Brest meldete zum Nachmittag Uhr 16 UTC sogar einzelne Sturmböen bis 80 km/h.

Nachts erfassten die Wind- und Niederschlagsfelder weitere Teile der Britischen Inseln und Nordfrankreichs und griffen auch auf die Benelux-Staaten, den Nordwesten Deutschlands, sowie Dänemark und Spanien über. Beispielsweise regnete es zwischen 18 und 06 Uhr UTC des darauf folgenden Morgen in Wuppertal 9 l/m², in Luxemburg-Stadt 6 l/m², im britischen Plymouth 10 l/m² und in Bordeaux 12 l/m². Starke-stürmische Böen wurden etwa aus Paris (bis 54 km/h), dem belgischen Zeebrügge (bis 61 km/h) oder Kopenhagen (54 km/h) vermeldet. Vor allem an der französischen und britischen Atlantikküste gab es weiterhin Sturmböen (Pointe du Raz 95 km/h).

Unterdessen kam es zu einer Weiterentwicklung der Zyklone. In den Frühstunden des 30. Aprils war das Tiefdrucksystem mit gleich zwei Kernen in der Berliner Wetterkarte abgebildet, der eine wenig westlich von Irland, der andere über der Irischen See, wobei der Kerndruck jeweils bei knapp unter 990 hPa lag. Auch das Frontensystem hatte sich weiter differenziert, so staffelten sich gleich zwei Kaltfronten vorderseitig des Tiefs über Westeuropa. Beide waren als Wolkenbänder gut auf den Satellitenbildern jenes Tages zu erkennen, wobei die Östlichere etwa von Nordsee über Benelux und Ostfrankreich und die Schweiz bis ins westliche Mittelmeer verlief, die Westlichere folgte in einigen hundert Kilometern Abstand und erstreckte sich von England über den Ärmelkanal und Nordwestfrankreich bis zur Biskaya.

Das hatte Folgen für das Wetter an jenem letzten Apriltag. Nicht nur, dass sich die Niederschläge von Britannien und Frankreich weiter nach Mitteleuropa und Südskandinavien ausdehnten und schauerartigen Charakter annahmen, sondern auch, dass mit der Zyklone nun feuchtkühle und labile Meeresluft herantransportiert wurde. So stiegen die Temperaturen über dem Vereinigten Königreich meist nur auf 10-13°C, über dem Norden und der Mitte Frankreichs auf 14-16°C. Dagegen wurden vor der Front, in mäßig warmer Festlandsluft noch Temperaturen bis oder knapp über 20°C erreicht, wie etwa im Osten Deutschlands, dem Westen Polens und in Tschechien.

Hinsichtlich der Niederschläge ergab sich ein regional recht differenziertes Bild, wobei die Spanne von einzelnen Tropfen bis hin zu kräftigen Regenschauern mit über 30 l/m² Niederschlag in kürzester Zeit reichte. Regionale Niederschlagsschwerpunkte lagen etwa im Bereich der West- und Südalpen (Genf 21 l/m², Mailand Malpensa 24 l/m²), zwischen Skaggerak, Kattegat und Mecklenburg (Schwerin 15 l/m², Silstrup 20 l/m², Kristiansand 32 l/m²), sowie über Südengland (Larkhill, bei Salisbury 22 l/m²).

Windig blieb es vor allem über Frankreich, wo verbreitet Böen der Stärke 7-8 im Flachland, stellenweise sogar Sturmböen der Stärke 9 gemessen wurden, wie etwa in Paris Charlles-de-Gaulle (bis 82 km/h) oder nördlich von Toulouse in Montauban (bis 89 km/h).

Auch über den Monatswechsel blieb die Doppelkernstruktur erhalten, wobei sich das Tiefdrucksystem als Ganzes von den Britischen Inseln in Richtung Nordsee und Südskandinavien schob. Dabei stieg der Luftdruck bereits im Laufe des 01. Mai allmählich an, von 991 hPa Kerndruck um 06 Uhr UTC auf 998 hPa bis zum Tagesende. Gleichzeitig drangen die Ausläufer weiter ostwärts voran. Aus den zwei Kaltfronten war wieder eine Okklusionsfront geworden, wie Radarbilder jenes Tages belegen. Diese zeigen ein markantes Niederschlagsband, welches sich von Südschweden über Polen, Slowakei und Ungarn bis Kroatien und Bosnien erstreckt und die Hauptfront des Tiefs markierte. Hier lagen die Niederschlagsintensitäten weiterhin bei meist 5-10 l/m² in 12 Stunden, stellenweise auch an oder knapp über 20 l/m² (Warschau 16 l/m², Zagreb 8 l/m²).

Aber auch auf der Rückseite des Tiefs blieb das Wetter spannend. In der weiter einsickernden, feucht-kühlen Nordatlantikluft entwickelten sich bei einem Sonne-Quellwolken-Mix und Temperaturen von 14°C bis 18°C abermals Regenschauer zwischen Britannien, Frankreich und Deutschland. Dabei wurden beispielsweise in Frankfurt am Main 12-stündig 10 l/m² gemessen, in Belfast 7 l/m², in Amsterdam 6 l/m², aber in Paris unter 1 l/m², und im Londoner St. James´s Park blieb es sogar ganz trocken. Im Zusammenhang mit den schauerartigen Niederschlägen lebte der Wind nochmals auf, starke bis stürmische Böen wurden verbreitet über Deutschland, wie auch über Frankreich, Benelux und dem Vereinigtem Königreich gemessen.

In den folgenden Maitagen verlagerte Tief ZLATINA seinen Schwerpunkt von Südskandinavien weiter nordwärts über Finnland hinweg nach Karelien und zur Kola-Halbinsel. Zunächst stieg der Luftdruck im Kernbereich noch weiter, pendelte sich schließlich bei etwas unter 1005 hPa ein. Wettertechnisch bestimmte die Zyklone vor allem noch am 02. Mai die Geschehnisse über Mitteleuropa, respektive Deutschland. Dabei zog ein kleines Randtief von der Nordsee über Dänemark nach Südschweden und brachte weitere schauerartige Niederschläge. Ähnlich den Vortagen wurden meist 5-10 l/m² in 12 Stunden, örtlich durchaus auch mehr gemessen, in Wuppertal waren es beispielsweise 11 l/m², in Celle 12 l/m², in Berlin-Schönefeld 8 l/m², im dänischen Roskilde 6 l/m², im schwedischen Växjö 15 l/m² und im polnischen Olsztyn 16 l/m².

Dagegen blieb es über dem Norden Frankreichs, wie auch über weiten Teilen Britanniens bereits trocken. Ursache war steigender Luftdruck und die Entstehung eines Zwischenhochs (PAUL II) über dem westlichen Mitteleuropa. Davon profitierten am 03. Mai auch die Gebiete zwischen Rhein, Donau, Oder und Weichsel, wo es dann weitgehend trocken blieb.

Weiterer Regen fiel dagegen im Umfeld der nordwärts wandernden Zyklone, sowie entlang dessen Ausläufern. War es am 02. Mai vor allem über Südfinnland und dem Baltikum zu Regenfällen gekommen (Vilnius 11 l/m², Helsinki 6 l/m²), war am 03. Mai ein Streifen zwischen Karelien, Petersburger Raum, Westrussland bis Weißrussland betroffen (Gomel/ Weißrussland 17 l/m², Twer 7 l/m², St Petersburg 4 l/m²).

Vor allem in Rumänien traten diese verbreitet und intensiv auf, häufiger erreichten die Niederschläge dort Mengen um 20 l/m², in Spitze sogar bis zu 50 l/m². Beispielsweise meldete die Wetterstation am Flughafen von Bukarest am 03. Mai 40 l/m² in 12 Stunden.

Am Morgen des 04. Mais war der Wirbel mit Kern bereits über Nordfinnland angekommen. Nach Analyse des Britischen MetOffie betrug der niedrigste Druck um 00 Uhr UTC noch 1002 hPa. Die mittlerweile ziemlich verwellten Ausläufer spannten sich südwärts über Nordwest- und Westrussland, sowie die Ukraine hinweg bis nach Rumänien und Bulgarien. Sie kam in den folgenden Stunden nur noch langsam voran, bzw. wurde im südlichen Teil sogar rückläufig.

Ursache war ein sich neu bildendes Tief über der Schwarzmeerregion was feuchtwarme Subtropikluft gegen die aus Nordwesten einströmende, mittlerweile gealterte Meereskaltluft drückte. Folglich kam es über dem Ostbalkan bis nach Griechenland und der Türkei zu teils kräftigen Schauern und Gewittern (z.B. Bartin 20 l/m², Bukarest 12 l/m²).

Auch über dem Westen Russlands setzten sich die frontalen Niederschläge fort, wobei die Intensität hier bei 5-10 l/m² lag (z.B. Moskau 7 l/m²). Über Finnland und Karelien dagegen blieben die Niederschläge seltener und weniger intensiv (St. Petersburg 0,4 l/m², Turku 1 l/m²). Erst im Bereich des Tiefdruckzentrums über Nordskandinavien regnete es wieder häufiger und verbreiteter (Karasjok in Nordnorwegen 5 l/m², Padun, westlich von Murmansk 4 l/m²).

Am 05. Mai wurde Tief ZLATINA schließlich das letzte Mal in der Berliner Wetterkarte analysiert, ehe es im Tagesverlauf über die Barents-Kara-See hinweg Richtung Nordpolarmeer zog und den Einfluss auf das Wetter in Europa verlor. Gerade die Ausläufer des Tiefs beeinflussten an jenem Tag mit leichten bis mäßigen Schauern vor allem noch Nordwest- und Westrussland. Ansonsten dominierten über Europa bereits andere Drucksysteme, allen voran Hoch PAUL, das sich über Zentraleuropa "einnistete". Doch das ist wieder eine andere Geschichte.